Kern und Kurz und das Espresso-Duell von Triest

Blick über Triest.
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Illegale Migration war nur als Randthema in Triest vorgesehen. Kanzler Kern brachte dennoch einen Aktionsplan ein. Ohne sich vorher mit Außenminister Kurz abzustimmen.

In der Gluthitze von Triest hätte der Wahlkampf zwischen Christian Kern und Sebastian Kurz am Mittwochnachmittag ein paar Stunden lang Pause haben sollen. Gemeinsam nahmen der Bundeskanzler und der Außenminister auf der Piazza Unità d'Italia am Westbalkan-Gipfel teil, allerdings in getrennten Programmen. Kurz verschwand mit seinen Amtskollegen im Triestiner Loyd. Kern scharte sich im Palazzo gegenüber mit den Regierungschefs der „Balkan-Sechs“ (Serbien, Montenegro, Mazedonien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Albanien) sowie aus Slowenien, Kroatien, Italien, Frankreich und Großbritannien um Angela Merkel.

Die deutsche Bundeskanzlerin hatte vor drei Jahren in ihrer Hauptstadt den „Berlin-Prozess“ gestartet, es folgten Balkan-Konferenzen in Wien und Paris. Sinn der alljährlichen Übung ist es, die europäische Integration der südosteuropäischen Staaten mit Projekten voranzutreiben. „Die Zukunft des Westbalkan liegt in der EU“, heißt feierlich in der Abschlusserklärung.

Doch auf diese Zukunft wartet die Region schon lange, seit dem dem Versprechen auf dem EU-Gipfel in Thessaloniki vor 14 Jahren. Nur Kroatien (2013) und Slowenien (2004) traten seither bei. Die anderen Nachfolgestaaten Jugoslawiens hinken ebenso hinterher wie Albanien. Und während sich in der Union Erweiterungsmüdigkeit breit machte, sank zwischen Belgrad und Tirana die Anziehungskraft Brüssels. Trotz aller Lippenbekenntnisse zu europäischen Werten gewannen in der Region korrupte Führertypen an Terrain.

Konkurrenz aus China

Gleichzeitig drängten andere Mächte auf den Balkan, die keine unangenehmen Fragen stellten: die Türkei, Russland, die Golfstaaten und zuletzt vor allem China, das bei Seidenstraßenprojekten wie dem milliardenschweren Bau einer Hochgeschwindigkeitstrasse zwischen Belgrad und Budapest viel Geld in die Hand nimmt.

Die EU forciert nun seit drei Jahren ihrerseits Infrastrukturinvestitionen. Als Morgengabe für den Triester Gipfel schießt die Union aus Steuergeldern 194,5 Millionen Euro für insgesamt sieben Vorhaben in Bosnien, Mazedonien und Serbien zu: unter anderem für einen Gaskonnektor, einen Autobahnzubringer, einen Bahntunnelabschnitt und einen Flusshafen im bosnischen Brčko.

Ziel ist es, die Verbindungen zwischen den Balkan-Sechs auf allen Ebenen zu stärken. „Interkonnektivität“ lautet das Schlagwort, und es soll nicht nur für Verkehr, Wirtschaft und Energie gelten, sondern auch für Wissenschaft und den direkten Austausch der Bürger. Stolz präsentierte sich in Triest das Büro für Regionale Jugendzusammenarbeit (Ryco), das von Tirana aus Vorurteile abbauen soll.

Wo ein oder zwei Staaten zusammenarbeiten und Finanztöpfe zur Entnahme stehen, da entwickelt sich schnell auch ein Bürokratisierungssog. Beim Wiener Gipfel kam die Idee eines Investitionsforums der Wirtschaftskammern auf. Das Sekretariat sicherte sich Italien, es soll in Triest logieren, ebenso wie vermutlich die Jungforscher-Stiftung, die die Akademien der Wissenschaften ankurbeln.
Die Logik des Berlin-Prozesses besticht. Auf dem Westbalkan soll ein gemeinsamer wirtschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Raum entstehen, um die Staaten fit für die EU zu machen. Europa ist fast gezwungen, sich zu engagieren. Denn was wäre die Alternative? Ein Rückfall der Ex-Bürgerkriegsstaaten in Instabilität? Ein Abdriften Richtung Moskau oder Peking? Österreichs Bundeskanzler Kern warnte vor wachsendem russischen, chinesischen und wahhabitischen Einfluss in der Region: „Wir müssen eine klare europäische Perspektive für den Westbalkan durchsetzen.“

Ein rarer Moment der Meinungsgleichheit mit seinem Konkurrenten Kurz. Der Berlin-Prozess sei ein wichtiges Signal, dass der EU die Beitrittsperspektive wichtig sei, sagte Außenminister Kurz, der in der Adria-Metropole Jean-Yves Le Drian, Igor Crnadak und Boris Johnson, die Außenminister Frankreichs, Bosniens und Großbritanniens, unter vier Augen traf.

Und dann war doch irgendwie wieder Wahlkampf. Unmittelbar vor seiner Abreise nach Triest stellte Kern auf dem Flughafen mit Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil einen Siebenpunkteplan zur Bekämpfung der illegalen Migration vor. Originell ist dabei vor allem der Vorschlag, nach dem Vorbild des Mr. Brexit Michel Barnier einen europäischen Verantwortlichen für das Aushandeln von Rückführungsabkommen zu ernennen. Die EU hat mit Dimitris Avramopoulos eigentlich schon einen Migrationskommissar. Und andere Ideen wie die Errichtung von Asylverfahrenszentren außerhalb Europas, Investitionen in die Herkunftsländer, verstärkte Polizeikooperation, Schutz der Außengrenzen oder die Verteilung von Flüchtlingen sind schon länger im Umlauf.

Migration war beim Balkangipfel lediglich als Randthema vorgesehen, Kern brachte seinen Plan dennoch im Plenum vor. Ein offenes Ohr fand er bei Premier Paolo Gentiloni, der es mit Rekordankünften von Migranten an Italiens Küste zu tun. Gemeinsam drängten sie auf einen baldigen Sondergipfel der EU. Doch Merkels Begeisterung dafür dürfte sich in Grenzen halten. Auch sie sprach die aktuelle Flüchtlingskrise an, allerdings vor Gipfelbeginn in einer Pressekonferenz mit Gentiloni und Frankreichs Präsident Macron im Hafen von Triest.

Kurz „freut das“

Mit Kurz war Kerns Plan nicht abgesprochen. Doch inhaltlich hat er nichts einzuwenden. „Wenn es zur Schließung der Mittelmeerroute beiträgt und der Kanzler diese Linie unterstützt, freut mich das“, sagte Kurz vor Journalisten in Harry's Cafè. Eine halbe Stunde später bat Kern zum Gespräch, genau gegenüber im Caffè degli Specchi. Ein kleines Espresso-Fernduell gleichsam. Ein gemeinsamer Auftritt war ebenso wenig vorgesehen wie eine gemeinsame An- und Abreise. So viel Abstand musste im Wahlkampf dann doch sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2017)

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