Warum weniger Migranten nach Italien kommen

Migranten in Italien
Migranten in Italienimago/Pacific Press Agency
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Im Juli ist die Zahl der Ankünfte um mehr als die Hälfte im Vergleich zum Vorjahr gesunken. UN-Experten geben als Gründe Schlepperbandenkriege, die gefährliche Lage in Libyen und Alternativrouten an.

Wien. Die Nachricht überraschte: Zum Höhepunkt dieses Sommers, in dem Flüchtlingsströme über das Mittelmeer europaweit für heiße politische Debatten sorgten, meldete das Innenministerium in Rom: Die Anzahl der Menschen, die im Juli die gefährliche illegale Seereise von Libyen nach Italien wagten, sei im Vergleich zum Juli 2016 um mehr als die Hälfte gesunken.

In Zahlen: 11.100 illegale Einwanderer strandeten im vergangenen Monat in Italien, ein Jahr zuvor kamen 23.500 Menschen. Auch insgesamt sind bisher etwas weniger Migranten übers Meer nach Italien geflohen als vor einem Jahr: Die Internationale Organisation für Migration (IOM) zählte von Jänner bis Anfang August 95.200 Ankünfte, im Vergleich zu 98.500 im Vorjahr.

Was ist aber der Grund für diesen starken Rückgang – trotz guten Wetters und mitten in der Flüchtlingshochsaison? In Rom klopft man sich auf die Schultern und nennt als Begründung Bemühungen um die Stabilisierung Libyens, Hilfen für die libysche Küstenwache und den Druck auf NGOs.

Experten sind vorsichtiger. Laut IOM ist es zu früh, von einem Trend zu sprechen – ebenso wie 2017 ein „Rekordflüchtlingsjahr“ zu nennen. Allerdings sei die Reduzierung im Juli „unerwartet“, sagt Flavio Di Giacomo vom IOM-Büro in Rom der „Presse“. Doch sie sei nicht unbedingt die Folge der europäischen Libyen-Politik: Die meisten afrikanischen Migranten würden sich in Nordlibyen aufhalten und nicht im Süden, wo Italien einen „Frieden“ zwischen Clanchefs ausgehandelt hat. Zudem sei die Zahl der von der libyschen Küstenwache im Juli gestoppten Migranten zu gering, um die Rückgänge zu erklären.

Die geringeren Ankünfte hingen eher mit internen Entwicklungen in Libyen zusammen. Zum einen deute vieles auf Probleme innerhalb der Schlepper-Community hin: „Es gibt Gerüchte über heftige Kämpfe zwischen Schmugglerbanden. Das würde die Verzögerungen der Abfahrten erklären“, so Di Giacomo. Joel Millman vom Genfer IOM-Büro weist gegenüber der „Presse“ darauf hin, dass Schleppern offenbar die Boote ausgingen – auch wegen der Zerstörung der Schiffe durch die EU. So würden Menschenhändler zunehmend versuchen, die Motoren von verlassenen Booten im Meer zu „retten“.

Libyen als „Falle“ für Afrikaner

Vor allem aber sei Libyen für Schwarzafrikaner ein zunehmend gefährliches Land, „eine Falle“, sagt Di Giacomo. „Sie stecken dort fest.“ Subsahara-Afrikaner in Libyen seien aufgrund des gewalttätigen Rassismus de facto vogelfrei – Zielscheibe für Entführungen, Versklavungen, Folter, sexuelle Übergriffe. Viele seien „mit falschen Hoffnungen auf Jobs“ nach Libyen gekommen. Di Giacomo zitiert Interviews, die seine Organisation mit afrikanischen Migranten geführt hat, die in Italien gestrandet sind: „60 Prozent gaben an, dass sie eigentlich in Libyen bleiben wollten.“ Sie hätten sich aufgrund der erlebten Brutalität dann entschieden, übers Meer nach Italien zu fliehen. Die Rückkehrreise in ihre Heimatländer über Libyen hätten sie als noch bedrohlicher empfunden als die oft tödliche Flucht übers Meer.

Offenbar suchen deshalb Afrikaner, die nach Europa wollen, Alternativwege zur Libyen-Route: Millman weist auf einen – derzeit noch geringen – Anstieg der Ankünfte in Spanien hin, Ausgangspunkt der Überfahrt ist Marokko. „Das erklärt teilweise die niedrigere Ankunftszahl in Italien im Juli.“ Es handle sich um Schiffe mit nur 20 bis 30 Flüchtlingen im Boot: In Marokko gibt es wegen eines Pakts mit Spanien strenge Kontrollen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.08.2017)

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