Deutschland: „Große Koalition schadet Diskurs“

CSU-Vizechef Manfred Weber: „Wir werden die Obergrenze durchsetzen.“
CSU-Vizechef Manfred Weber: „Wir werden die Obergrenze durchsetzen.“ (c) Getty
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Der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei und CSU-Vize Manfred Weber über den Streit um die Obergrenze, die Nähe zwischen CSU und ÖVP und Waffengewalt gegen Schlepper.

Die Presse: Der Traum von CSU-Chef Horst Seehofer, die AfD aus dem aus Bundestag herauszuhalten, scheint zu platzen. Zuletzt ist die AfD wieder erstarkt. Wie erklären Sie sich das?

Manfred Weber: Ein Problem im Wahlkampf ist, dass in der Mitte mit CDU/CSU und SPD wegen der Großen Koalition zu wenig Debatte entsteht. Das liegt in erster Linie am Herausforderer. Martin Schulz müsste zeigen, was unter ihm anders wäre, würde er regieren. Das ist ihm nicht gelungen. Und das stärkt die Ränder. Die Werte von AfD und Linke nehmen zu. Wir müssen in der Zukunft wieder mehr Lust an der Debatte haben, die Menschen wollen Alternativen sehen. Man darf nicht nur Konsens praktizieren.


Das spricht gegen eine Neuauflage der Großen Koalition.

Für die politische Kultur im Land wäre es gut, würden wir die Große Koalition nicht verlängern. Sie tut auf Dauer der Debattenkultur und dem Diskurs nicht gut. Das österreichische Beispiel zeigt das ja auch.


Eine Debatte gibt es schon. Aber innerhalb der Union, zwischen CSU und CDU. Die CSU fordert eine Flüchtlingsobergrenze. Die Kanzlerin hat jetzt noch einmal eine Garantie abgegeben, dass die Obergrenze nicht kommt.

Wir werden trotzdem darum kämpfen. Die Menschen wollen eine Vergewisserung, dass jedes Land eine Belastungsgrenze hat. Und das wollen sie nicht nur mündlich zugesagt bekommen, das muss man rechtlich absichern.


Noch einmal: Die Kanzlerin schließt eine Obergrenze aus.

Wir werden die Obergrenze durchsetzen. Die Menschen wissen aber auch, dass Politik immer Kompromiss ist. Europa kann uns in der Debatte helfen. Wenn Sie sich die europäischen Grundlagen anschauen, die bei der Reform des Dublin-Systems auf dem Tisch liegen, dann sprechen wir von Kontingenten, die wir den Vereinten Nationen anbieten. Dieses Resettlement gibt Flüchtlingen in Camps die Option Europa. Aber eben nach oben eindeutig begrenzt.


Könnte die Obergrenze auch Kontingente heißen?

Genau.


Obergrenze, Schließung der Westbalkanroute: Es fällt auf, dass sich CSU und ÖVP oft näher sind als CSU und CDU. Warum?

Das hat schon auch mit landmannschaftlichen Verbindungen zu tun, Wir haben einen ähnlichen Dialekt, ticken ähnlich und haben als Volksparteien einen engen Draht zu den Bürgern. Es gibt aber auch in der CDU viele, die die Obergrenze unterstützen, und in der CSU viele, die ein klares Bekenntnis zur Flüchtlingshilfe abgeben. Wir wollen als CSU ja keine Mauer bauen, wir wollen kontrolliert helfen. Aber wir brauchen eine Lösung. Die ungelöste Migrationspolitik ist noch immer die offene Wunde der EU.


Sie fordern als Teil der Lösung auch einen militärischen Einsatz im Mittelmeer?

Das gehört zur Wahrheit. Wir werden im Mittelmeer von hochgerüsteten Schlepperbanden in Atem gehalten. Wir werden sie nicht mit Worten bekämpfen können. Am Horn von Afrika gibt es bereits einen robusten militärischen EU-Einsatz. Genauso müssen wir auch bei den Schleppern die Waffe in die Hand nehmen und sagen: „Europa weiß sich zu wehren. “


Zur angestrebten Lösung zählt auch eine EU-Flüchtlingsquote. Kanzlerin Merkel hat Orbán scharf angegriffen, weil er die Quote trotz Gerichtsurteils nicht umsetzten wollte. Wieso ist Orbáns Fidesz-Partei eigentlich noch immer Teil der EVP?

Viktor Orbán hat zuletzt gesagt, dass er die Regeln respektiere. Daran werden wir ihn messen. Uns gefällt nicht alles, was in Ungarn passiert. Orbán ist eine streitbare Persönlichkeit, die es liebt, gern einmal Grenzen auszutesten. Wenn er die Regeln akzeptiert, ist er Teil der Gemeinschaft, wenn er das nicht macht, schließt er sich aus. Es liegt an ihm. Als es in der Flüchtlingskrise 2015 darum ging, die EU-Grenzen zu sichern, hat Orbán auch die Linie der EVP vertreten. Das möchte ich betonen.


Aber ist die Umsetzung der Quote eine rote Linie für den Verbleib Orbáns in der EVP?

Orbán hat bisher Vorgaben der Kommission immer, wenn auch widerwillig umgesetzt. Das ist der wesentliche Unterschied zur polnischen Regierung. Dort ist man nicht einmal bereit, mit der EU-Kommission zu reden und sie als Autorität zu respektieren.


Jean-Claude Juncker hat seine Vision einer EU-weiten Eurozone bekräftigt. Die Kanzlerin spricht dagegen immer vom Europa der mehreren Geschwindigkeiten.

Das ist kein Widerspruch. Es geht zum Beispiel auch um eine Stärkung der Außenpolitik und den Aufbau eines europäischen Verteidigungspfeilers neben der Nato. Da dürfen wir uns auch nicht vom Langsamsten den Zeitplan diktieren lassen. Wenn Kaczyński etwa in Polen sagt, er will da keine Vertiefung, dann darf er beiseitestehen. Niemand wird gezwungen. Aber wir lassen uns von den Antieuropäern auch nicht aufhalten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.09.2017)

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