Madrid zeigt den separatistischen Katalanen die Muskeln

„Freiheit für Katalonien“: Wütende Katalanen fordern in Barcelona das „Selbstbestimmungsrecht“.
„Freiheit für Katalonien“: Wütende Katalanen fordern in Barcelona das „Selbstbestimmungsrecht“. (c) REUTERS (ALBERT GEA)
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Die paramilitärische Guardia Civil nimmt Regionalpolitiker fest, Massendemos in Barcelona.

Barcelona/ Wien. „Besatzer raus!“, skandierten am Mittwoch Tausende aufgebrachte Demonstranten vor den Gebäuden der Regionalregierung im Zentrum von Barcelona. Sie schwangen katalanische Fahnen, riefen wütend: „Europa, wo bist du?“ Augenzeugen berichteten am Nachmittag von Rempeleien und Zusammenstößen mit der Polizei.

Wenige Tage vor dem von Madrid verbotenen Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober herrscht in der nordspanischen Region Katalonien gefährlich aufgeheizte Rebellionsstimmung. Die Spannungen zwischen Madrid und dem von Separatisten regierten Katalonien erreichten einen gefährlichen Höhepunkt, nachdem in den frühen Morgenstunden Agenten der paramilitärischen Guardia Civil in die Räumlichkeiten der Lokalverwaltung einmarschiert waren. Sie hatten dort Schreibtische durchforstet, Aktenschränke durchwühlt, Dokumente konfisziert. Danach führten die Agenten demonstrativ eine ganze Reihe hochrangiger Regionalpolitiker ab: 14 Beamte wurden festgenommen – darunter Josep Maria Jové, die rechte Hand von Vize-Regierungschef Oriol Junqueras.

„De-facto-Ausnahmezustand“

Jové ist unter anderem für die Koordinierung des Votums am 1. Oktober zuständig, das laut den Obersten Richtern in Madrid gegen das verfassungsrechtliche Grundprinzip der Einheit Spaniens verstößt. Premier Mariano Rajoy hat bereits mehrmals rechtliche Schritte gegen alle Personen angekündigt, die diese Abstimmung mitorganisieren.Hunderte katalanische Bürgermeister mussten in den letzten Tagen dem Staatsanwalt Rede und Antwort stehen, weil sie sich nicht an das Verbot halten wollen. "Noch ist Zeit, ein größeres Unglück zu verhindern", sagte Rajoy in einer Fernsehansprache. Madrid werde eine "starke Antwort" auf jeden Akt des Ungehorsams geben. Rajoy bezeichnete das von der katalanischen Regierung für 1. Oktober angesetzte Unabhängigkeitsreferendum als "Schimäre" und "anti-demokratisch". 

Die konservative Regierung in Madrid zeigte also knapp eine Woche vor der Abstimmung mit dieser „Aktion scharf“ der Guardia Civil die Muskeln. Doch diese Kraftdemonstration scheint die Separatisten nur in ihrem Vorhaben zu bestärken. So trat denn auch Regionalchef Carles Puigdemont am Mittwoch mit ernster Miene vor die TV-Kameras: Die spanische Regierung habe „die rote Linie überschritten,“ heizte er die Stimmung weiter an. Sie habe über die Region „de facto den Ausnahmezustand“ verhängt. Er ließ keinen Zweifel daran, dass seine Regierung am Votum festhalten wolle. In Madrid selbst verließen katalanische Abgeordnete aus Protest das Parlament.

Gegen das verhasste Madrid machen indes auch andere katalanische Organisationen international Stimmung. So beklagt der katalanische Thinktank Diplocat in einem Bericht, dass Madrid in Katalonien Freiheiten und Bürgerrechte einschränke. Die Organisation spricht von Einschüchterungen, „Angriffen auf die Pressefreiheit“: Die spanische Militärpolizei hätte zuletzt wiederholt Material durchsucht, das im Zusammenhang mit dem Referendum stehe. Zudem sei es Medien verboten worden, über die offizielle Referendumsankündigung der Regierung zu berichten.

Die konservative Regierung in Madrid hingegen pocht auf die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien. „Ich erfülle nur meine Pflicht“, reagierte Rajoy lakonisch auf die Razzien in Barcelona. Diesmal hat der Regierungschef auch alle großen Oppositionsparteien hinter sich – nur die linksradikale Podemos kritisiert seine Haltung. Sogar die sonst eher Rajoy-kritische, linksliberale „El Pais“ griff das Vorgehen der katalanischen Politiker an und betonte, dass Madrid gar keine andere Wahl habe, als „die verfassungsrechtliche Ordnung wiederherzustellen“. Tatsächlich hat Rajoy seine letzte Karte noch gar nicht ausgespielt: Die Regierung hat das Recht, in Extremfällen die Autonomierechte der Regionen aufzuheben und selbst zu regieren. Laut Beobachtern könnte dieser Schritt unmittelbar bevorstehen.

Eine dunkle Sackgasse

Madrid und Barcelona scheinen sich durch ihre starre Haltung in eine dunkle Sackgasse hineinzumanövrieren, aus der derzeit niemand einen Ausweg weiß. Spaniens Regierung hofft wohl, dass die Regionalregierung das Referendum in letzter Minute absagt, genauso wie bereits im Jahr 2014. Derzeit scheint aber Barcelona fest entschlossen zu sein, die Pläne umzusetzen. Denn auf dem Spiel steht vor allem die politische Glaubwürdigkeit der wackligen Regierungskoalition Puigdemonts: Einziger gemeinsamer Nenner der heterogenen und zerstrittenen Separatistenkoalition ist die Unabhängigkeit und die Volksbefragung dazu, mit diesem Versprechen hatten sie 2015 auch die Regionalwahl gewonnen. Offen ist aber, wie weit die Katalanen wirklich bereit sind, in dieses Unabhängigkeitsabenteuer zu gehen. Laut Umfragen ist derzeit eine knappe Mehrheit der Einwohner dieser wirtschaftsstarken Region ohnehin gegen eine Unabhängigkeit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2017)

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