Analyse

Sechs Fragen zur Katalonien-Krise

(c) APA/AFP/LLUIS GENE
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Die Katalanen halten am „illegalen“ Unabhängigkeitsvotum vom 1. Oktober fest, Madrid zeigt Muskeln: Die Hintergründe des katalanischen Trennungskonflikts.

Spanien steht vor der größten Zerreißrobe seit Jahrzehnten: Trotz Verbots aus Madrid hält die separatistische katalanische Regierung am Unabhängigkeitsreferendum vom 1. Oktober fest. Spaniens konservative Regierung reagiert mit Muskelspielen: Nach den Razzien und Festnahmen der vergangenen Tage will man nun zusätzliche Beamte der paramilitärischen Guardia Civil „zur Verstärkung“ nach Katalonien schicken, Die Regionalregierung protestierte, seit Tagen demonstrieren Hunderttausende gegen Madrid. Wie kommt es, dass in dieser wohlhabenden EU-Region auf einmal eine bürgerkriegsähnliche Stimmung herrscht? Hier einige Antworten.

1 Warum eskaliert ausgerechnet jetzt der katalanische Konflikt?

Für die Obersten Richter verstößt das Votum gegen das verfassungsrechtliche Prinzip der „Unteilbarkeit der spanischen Nation“ und ist illegal. Doch Barcelona hält daran fest. Regionalpolitiker wurden bereits wegen „zivilen Ungehorsams“ angeklagt oder festgenommen. Barcelona argumentiert, es gehe nicht um eine juristische, sondern um eine demokratiepolitische Frage: Die 7,5 Millionen Katalanen hätten das Recht auf Selbstbestimmung.

2 Warum hat die Regionalregierung zur Abstimmung aufgerufen?

Das hat eine jahrelange Vorgeschichte: Bereits 2014 wollte Barcelona über die Unabhängigkeit abstimmen lassen, auch damals verbot Madrid das Votum. Aus dem Referendum wurde eine nicht-bindende Befragung, bei der 80 Prozent für die Trennung von Madrid stimmten (allerdings gingen vor allem Unabhängigkeitsbefürworter zur „Wahl“). Daraufhin „verwandelten“ Separatisten vorgezogene Regionalwahlen 2015 in ein verstecktes Referendum: Separatistische Parteien schlossen sich zusammen. Sie versprachen, „bis Ende 2017“ den Weg in die Unabhängigkeit geebnet zu haben – und gewannen. Notfalls werde man die Trennung auch unilateral erklären, hieß es schon damals. Seit mehr als einem Jahr verabschiedet die Regierung Gesetze, um die Eigenstaatlichkeit vorzubereiten. Diese Gesetze werden regelmäßig von Verfassungsrichtern blockiert.

3 Wie separatistisch sind die Katalanen wirklich?

Derzeit ist in Umfragen die knappe Mehrheit gegen eine Unabhängigkeit, doch mehr als 70 Prozent will darüber abstimmen. Vor etwa 15 Jahren noch gehörten Separatisten zur belächelten, radikalen Minderheit. Die regierenden Zentristen waren damals für eine Autonomie innerhalb Spaniens – heute sind auch sie für die Unabhängigkeit.
Über die Gründe der separatistischen Renaissance scheiden sich die Geister. Laut Madrid stecken Frust über die Wirtschaftskrise sowie Dauerpropaganda der Regionalregierung dahinter. Tatsächlich gehört Separatismus zum Meinungsmainstream, der von Medien und in Schulen propagiert wird. Katalanen hingegen argumentieren, dass jahrelange Schikanen aus Madrid das Fass zum Überlaufen brachten. Ein Höhepunkt war das Verbot von 2010, Katalonien als „Nation“ zu bezeichnen. Katalanen klagen auch über hohe Transferleistungen nach Madrid.

4 Könnte Katalonien als eigener Staat überleben?

Auch hier gibt es divergierende Meinungen: Separatisten behaupten, dass sie von einer Unabhängigkeit profitieren würden – ohne Transferzahlungen nach Madrid und dank einer unternehmerfreundlichen, effizienten katalanischen Regierung werde der neue Staat boomen. Ihre Gegner prophezeien den wirtschaftlichen Untergang: Wegen der ungesicherten Zukunft – auch innerhalb der EU – würden internationale Firmen abziehen, Investitionen zurückgehen. Die Wahrheit liegt vermutlich dazwischen: Katalonien ist überlebensfähig, aber die Transitionsphase wäre schwierig. Unter der Abspaltung des reichen Kataloniens würde aber auch Spanien leiden.

5 Würde ein unabhängiges Katalonien in der EU bleiben dürfen?

Die Separatisten sind deklariert pro-europäisch. Brüssel warnte allerdings mehrmals vor dem Trennungsabenteuer und machte klar, dass ein unabhängiges Katalonien nicht automatisch EU- (und Euro-)Mitglied bleiben würde. Die Katalanen müssten sich neu bewerben, Spanien würde vermutlich ein Veto einlegen. Barcelona argumentiert hingegen, dass es in den EU-Verträgen keinen Passus über einen automatischen EU-Ausschluss gebe.

6 Und wie geht es weiter, gibt es Aussichten auf einen Kompromiss?

Derzeit sind diese zwei Szenarien möglich: Das Referendum findet statt, die Lage eskaliert. Madrid aktiviert erstmals in der Geschichte den Artikel 155 der Verfassung und hebt die katalanische Autonomie auf, übernimmt die Macht, verhindert das Votum. Oder aber Barcelona sagt das Referendum noch ab. Der Konflikt wäre nur auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2017)

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