Polizeigewalt gegen Katalanen-Referendum

Polizisten zerren in Barcelona einen Demonstranten weg, der ein Abstimmungslokal schützen wollte.
Polizisten zerren in Barcelona einen Demonstranten weg, der ein Abstimmungslokal schützen wollte.(c) APA/AFP/FABIO BUCCIARELLI
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Mit Schlagstöcken und Gummigeschossen versuchten die spanischen Sicherheitskräfte am Sonntag die ungesetzliche Unabhängigkeitsabstimmung in der Region Katalonien zu verhindern. Zahlreiche Menschen wurden verletzt.

Madrid/Barcelona. Schon im Morgengrauen hatten sich die Menschen vor ihrem Wahllokal in der Gemeindehalle versammelt. Hier, in dem kleinen katalanischen Ort Sant Julià de Ramis, wollte der katalanische Ministerpräsident Carles Puigdemont seine Ja-Stimme für die Unabhängigkeit der spanischen Region Katalonien in die Urne werfen. In diesem Dorf mit 3000 Einwohnern, rund eine Autostunde nordöstlich der Regionalhauptstadt Barcelona, hat Puigdemont seinen Wohnsitz.

Doch der Anführer der katalanischen Separatistenfront kam nicht dazu, in seinem Heimatort zu wählen. Kurz nach Öffnung des Wahllokals um neun Uhr morgens störte eine Einsatzhundertschaft der spanischen Guardia Civil, eine paramilitärische Polizeieinheit Spaniens, die Dorfruhe. Doch als die Polizisten in den Gemeindepavillon vordringen wollten, um Wahlurnen und Wahlzettel zu beschlagnahmen, sahen sie sich mehreren hundert Bürgern gegenüber, die sich vor der Tür des Wahllokals aufgebaut hatten.

Die Männer und Frauen, von denen einige sogar ihre Kinder mitgebracht hatten, hakten sich unter und bildeten eine Menschenmauer. Einige hatten sich in die gelb-roten Fahnen der Unabhängigkeitsbewegung gehüllt. Dann sangen sie die katalanische Hymne. Ein kämpferisches Lied, in dem das „triumphierende Katalonien“ gelobpreist wird und in dem es heißt: „Möge der Feind zittern, wenn er unsere Fahne sieht.“ Dann hoben die Menschen ihre Hände hoch, um den Beamten zu zeigen, dass sie unbewaffnet und friedlich sind und sie riefen trotzig: „Wir werden wählen.“

Mit Hammer gegen Glastür

In diesem Fall konnten die Bürger Kataloniens nicht wählen: Einer nach dem anderen wurde von den Beamten weggezogen oder weggetragen. Dann holten die Polizisten einen Vorschlaghammer. Denn die Glastür des Wahllokals war mittlerweile von Wahlhelfern, die sich schon in dem Gebäude befanden, von innen verrammelt worden. Glas splittert, nach wenigen Sekunden ist das Loch groß genug, damit sich die Beamten hindurchzwängen können.

Wenig später transportieren die Sicherheitskräfte jene Objekte ab, die es nach einem Verbot des spanischen Verfassungsgerichts an diesem Sonntag in Katalonien nicht geben durfte: weißgraue Plastikboxen mit schwarzem Deckel, die als Wahlurnen benutzt werden sollten. Laptops, die zur Wählererfassung und Stimmauszählung benutzt wurden. Und braune Kartons mit weißen Stimmzetteln.

Auf den Wahlpapieren stand jene Abstimmungsfrage, wegen der Spaniens Zentralregierung das Gerichtsverbot bewirkt und ein ganzes Heer an Polizisten in die rebellische Region geschickt hatte. „Wollen Sie, dass Katalonien ein unabhängiger Staat in Form einer Republik wird?“

Puigdemont heizt Stimmung an

Kataloniens Regierungschef, der sich geweigert hatte, das Gerichtsverbot anzuerkennen und die Bevölkerung dazu aufgerufen hatte, ihre „Stimme für die Demokratie“ abzugeben, musste wegen dieses Polizeieinsatzes in den Nachbarort Cornellá de Terri ausweichen. Dort konnte der Anführer des katalanischen Aufstandes, gegen den wegen Rechtsbeugung und Rebellion ermittelt wird, am Sonntagvormittag unbehelligt seinen Stimmzettel in die Wahlurne werfen. Dann baute sich Puigdemont vor den Mikrofonen auf und heizte, wie schon in den vergangenen Tagen, die Stimmung auf den Straßen Kataloniens weiter an: Er sprach von der „Brutalität der Polizei“, die gegen Menschen, „die friedlich demonstriert haben“ und „in Freiheit über ihre Zukunft abstimmen wollen“. All das zeige das wahre Gesicht der Zentralregierung in Madrid, die mit „Repression“ versuche, das katalanische Volk zum Schweigen zu bringen.

Polizei setzt Schlagstöcke ein

Damit kommentierte Puigdemont Szenen, wie sie sich in anderen katalanischen Städten, etwa in Girona oder in Barcelona, abspielten. Dort verschafften sich Einsatztrupps der spanischen Nationalpolizei mit dem Schlagstock Zugang zu Wahllokalen und prügelten nach Zeugenaussagen wahllos auf die Menschen ein, die die Eingänge blockierten.

Gewalt bei Sagrada Família

Mitten in Barcelonas Innenstadt unweit der von Touristen viel besuchten Basilika „Sagrada Família“ eskalierte die Lage, als die Nationalpolizei Wahlurnen aus einem Wahllokal in der Schule Ramon Llull abtransportieren wollten. Hunderte Demonstranten kreisten die Beamten ein, die daraufhin Gummigeschosse abfeuerten. Ein Mann sei durch ein Gummiprojektil am Auge verletzt worden, hieß es, er habe umgehend operiert werden müssen.

Die Bürgermeisterin von Barcelona, Ada Colau, sprach am Sonntagnachmittag von bereits 460 Verletzten. Die katalanische Regionalregierung erklärte, trotz Gerichtsverbotes und massiver Polizeieinsätze seien 73 Prozent aller etwa 2300 Wahllokale geöffnet worden. Auch wenn der Sprecher der katalanischen Separatistenregierung einräumte, dass bei dieser irregulären Abstimmung vielerorts improvisiert werden musste.

„Wir haben bereits gewonnen“

Da die Polizei in den vergangenen Tagen Millionen Wahlzettel beschlagnahmt hatte, brachten viele Bürger ihre Stimmpapiere, die sie im Internet ausgedruckt oder sich andernorts besorgt hatten, selbst mit. Auch gab es oft keine Umschläge, so dass die Stimmzettel einfach gefaltet in die Wahlbox gesteckt wurden.

Doch auch durch diese widrigen Umstände wollen sich die Unabhängigkeitsbefürworter in Katalonien, die laut Umfragen bisher keine klare Mehrheit der Bevölkerung hinter sich hatten, nicht beirren lassen. Schon bevor das Ergebnis dieses illegalen Wahlganges, dessen Ergebnis kaum als repräsentativ gelten wird, feststeht, sieht sich Kataloniens Regierungschef Puigdemont als Sieger: „Wir haben bereits gewonnen. Wir haben die Ängste, die Drohungen, den Druck und die Lügen besiegt.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.10.2017)

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