Die Streitfragen der Palästinenser

Palästinenserpremier Rami Hamdallah (li.) traf Hamas-Chef Ismail Hanijeh.
Palästinenserpremier Rami Hamdallah (li.) traf Hamas-Chef Ismail Hanijeh. (c) REUTERS
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Erstmals seit zehn Jahren kommen die Fatah von Präsident Abbas und die islamistische Hamas wieder einander näher. Doch noch sind wichtige Streitfragen ungelöst.

Jerusalem. Ein Ende der palästinensischen Spaltung und damit der Blockade – das erhoffen sich die Menschen im Gazastreifen von den Verhandlungen zur Beilegung des Konflikts zwischen den beiden palästinensischen Parteien Fatah und Hamas. Hunderte Palästinenser feierten am Grenzkontrollpunkt Erez die Ankunft des palästinensischen Ministerpräsident Rami Hamadallah im Gazastreifen.

Zum ersten Mal seit gut zehn Jahren wurden am Dienstag in Gaza wieder palästinensische Regierungskonsultationen abgehalten. Hamdallah, der mit einer über 100 Mitglieder umfassenden Delegation kam, darunter die Minister und hochrangige Sicherheitsbeamte, begann seinen Gaza-Aufenthalt mit einem Treffen mit dem Chef des Hamas-Politbüros Ismail Hanijeh. Es könne nur einen palästinensischen Staat geben, „wenn Gaza und Westjordanland wieder vereint sind“, erklärte Hamdallah.

Präsident Abbas machte Druck

So nah wie diesmal sind sich die zwei Konfliktpartner seit zehn Jahren nicht mehr gekommen. Im Sommer 2007 holte sich die islamitische Hamas mit Gewalt, was ihr aus ihrer Sicht durch den Wahlsieg ein Jahr zuvor zustand: die Kontrolle über den Gazastreifen. Seither sind die Palästinensergebiete nicht nur regional zweigeteilt, sondern auch politisch. Trotz verlorener Wahl führte die Fatah im Westjordanland weiter die Geschäfte. De facto gibt Palästinenserpräsident Mahmud Abbas den Ton an. Seiner harten Hand gegen den Gazastreifen ist zu verdanken, dass die Hamas Bereitschaft signalisierte, ihm die Verwaltung des belagerten Küstenstreifens und die Sorge um die dort lebenden zwei Millionen Palästinenser zu überlassen. Abbas hatte öffentliche Gelder für Strom, Wasser und medizinische Versorgung zurückgehalten, um die Islamisten in Gaza zur Kapitulation zu zwingen.

Beide Seiten müssen nun die durch das Blutvergießen, jahrelange Folter ihrer Anhänger und gegenseitige Unterdrückung angesammelten Ressentiments überwinden, um auf internationaler Bühne wieder als vereintes Volk und damit als glaubwürdigere Verhandlungspartner auftreten zu können – und um vor allem auch der Belagerung ein rasches Ende zu bereiten.

Weitere Gespräche in Kairo

Ägypten machte die erneute Stationierung der Fatah-nahen Präsidentengarde am Übergang Rafah zur Bedingung für einen geregelten Grenzverkehr, und auch der Warentransport von und nach Israel wäre ungleich einfacher, wenn auf beiden Seiten wieder Beamte stehen, die bereit sind, miteinander zu kommunizieren. Israel und die Hamas boykottieren einander.

Ging es am Dienstag zunächst um eine erste direkte Kontaktaufnahme und um freundliche Gesten, bei denen die Problemthemen außen vor bleiben, so wird ab kommender Woche in der ägyptischen Hauptstadt Kairo über konkrete Schritte verhandelt werden. Ägyptens Regierung war maßgeblich am Zustandekommen der Gespräche beteiligt und treibt beide Seiten zur Flexibilität bei ihren Positionen an. Alle bisherigen Annäherungsversuche scheiterten an den Machtinteressen der Parteien.

Hamas will Waffen behalten

Der Hamas geht es in erster Linie um eine Aufhebung der Sanktionen. Die Fatah hingegen will nicht nur für Verwaltung und Grenzverkehr, sondern für die gesamte staatliche Kontrolle zuständig sein: Nur eine Regierung und eine bewaffnete Macht solle es geben, so das Mantra von Jibril Rajoub, ehemals Sicherheitschef im Westjordanland. Dazu gehört auch die Kontrolle ausländischer Finanzierungshilfen und die Entwaffnung der Kassam-Brigaden, des militärischen Flügels der Hamas.

Doch die Waffen niederzulegen, so kündigten die palästinensischen Islamisten unmissverständlich an, stehe außer Frage. Die Kassam-Brigaden, so kommentierte Avi Issacharoff, Korrespondent im Westjordanland für das Online-Portal „Times of Israel“, „sind das Herz der Hamas“ und der Kampf gegen Israel ihr Raison d'?tre. Issacharoff glaubt deshalb nicht daran, dass die Hamas-Kämpfer ihre Waffen abgeben werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2017)

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