Spanien: „Die Regierung akzeptiert keine Erpressung“

Carles Puidgemont hielt einen Appell in der TV-Rede.
Carles Puidgemont hielt einen Appell in der TV-Rede.(c) APA/AFP/PIERRE-PHILIPPE MARCOU (PIERRE-PHILIPPE MARCOU)
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Im Katalonien-Konflikt verhärten sich die Fronten immer weiter. Spaniens Premier Manuel Rajoy weigert sich, über einen „Rechtsbruch“ zu verhandeln. Kataloniens Premier Puidgemont will indessen „keinen Millimeter“ abweichen.

Madrid. Weder die Europäische Union noch der Vatikan noch ein internationales Friedensinstitut: Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy lehnt jegliche Vermittlung im lodernden Katalonien-Konflikt ab. „Die Regierung wird über keinen Rechtsbruch verhandeln.“ Rajoy forderte am Donnerstag die katalanischen Separatisten auf, den einseitigen Unabhängigkeitsprozess zu stoppen, „um Schlimmeres zu vermeiden“.

Carles Puigdemont, Kataloniens Ministerpräsident, zeigte sich zwar in einer „Rede an das katalanische Volk“ zu einer Vermittlung bereit. Aber nur unter der wenig realistischen Bedingung, dass er seine einseitige Unabhängigkeitsfahrt fortsetzen kann.

Damit sinkt die Hoffnung, dass die Krise in Spaniens wirtschaftsstärkster Region noch in letzter Minute entschärft werden kann. Puigdemont ließ keinen Zweifel daran, dass man nach dem vom Verfassungsgericht verbotenen Unabhängigkeitsreferendum vom vergangenen Sonntag schon in Kürze die staatsrechtlich illegale Abspaltung ausrufen werde.

Es wird nicht ausgeschlossen, dass das katalanische Parlament, in dem die Separatisten eine knappe absolute Mehrheit haben, schon am Montag die Unabhängigkeitserklärung verabschieden könnte – mit unabsehbaren Folgen. Das Verfassungsgericht in Madrid hat die Sitzung am Donnerstag untersagt. „Eine Vermittlung durch die EU ist nicht gerechtfertigt“, sagte Spaniens Außenminister Alfonso Dastis. Es gebe keinen Konflikt zwischen zwei Staaten. „Hier geht es um die Befolgung des Gesetzes.“

Rajoy erklärte: „Die Regierung wird keine Erpressung akzeptieren. Wenn Puigdemont verhandeln oder Vermittler schicken will, weiß er, was er tun muss: Auf den Weg des Rechts zurückkehren.“ Puigdemont stehe mit seinem Kurs „nicht nur außerhalb des Gesetzes, sondern außerhalb der Realität“.

Puigdemont hat in Barcelona in einer TV-Ansprache an die 7,5 Millionen Katalanen zwar versichert, dass er „immer eine Tür zum Dialog offen“ halte. Er bekräftigte aber zugleich, dass er „keinen Millimeter“ vom einseitigen Unabhängigkeitsprozess abweichen und auf jeden Fall das „Ergebnis des Referendums umsetzen“ werde.

Bei dem Referendum am Sonntag haben 90 Prozent der Wähler mit Ja gestimmt. Die Mehrheit der Bewohner Kataloniens hat aber bei dem verfassungswidrigen Votum gar nicht mitgemacht. Die katalanische Bevölkerung ist in Sachen Unabhängigkeit gespalten.

Angesichts unbeweglicher Fronten wächst die Sorge, dass die Krise in der spanischen Mittelmeerregion an der französischen Grenze explodiert. Die Regierung in Madrid kündigte bereits an, dass man auf eine einseitige Unabhängigkeitserklärung mit harten Gegenmaßnahmen reagieren werde. Madrid könnte dann die katalanische Regierung entmachten, Spaniens Justiz könnte gegen Puigdemont Anklage wegen Rebellion erheben. Doch dies würde die gespannte Stimmung auf den Straßen Kataloniens weiter anheizen. „Der Kessel hat eine sehr hohe Temperatur und kann jeden Moment explodieren“, warnte „La Vanguardia“, Kataloniens größte Tageszeitung, in einem Leitartikel.

Referendum nach Vorbild Schottlands

In der Tat geraten immer öfter Anhänger des antispanischen und prospanischen Lagers auf den Straßen aneinander. Auch Journalisten, die nicht auf der Linie der Separatisten liegen, werden öffentlich angefeindet und beschimpft. Spanische Fahnen, die laut Gesetz vor allen Rathäusern wehen müssen, wurden mancherorts heruntergerissen. Spaniens Sicherheitskräfte bekommen vielerorts in Katalonien zu hören: „Haut ab, Besatzungstruppen.“ „Ein starkes Gefühl des Schwindels erfasst die Gesellschaft“, schrieb Enric Juliana, einer der prominentesten Journalisten Kataloniens. „Es herrscht Angst, dass die Eskalation in einer Katastrophe endet.“

Spaniens zerstrittene Parteien schaffen es derweil nicht einmal in dieser schlimmsten Staatskrise in der jüngeren demokratischen Landesgeschichte, sich zusammenzuraufen und an einem Strang zu ziehen. Klare Unterstützung in seiner kompromisslosen Katalonien-Politik bekommt Spaniens konservative Minderheitsregierung nur von der kleineren bürgerlich-liberalen Partei Ciudadanos. Die Sozialisten, die größte Oppositionspartei, sind zerstritten. Nur die linksalternative Protestbewegung Podemos, die drittgrößte Partei des Landes zusammen mit den Regionalparteien aus Katalonien, dem Baskenland und Valencia, tritt offen für eine Verhandlungslösung ein: Sie schlägt einen „dritten Weg“ vor – ein legales Unabhängigkeitsreferendum nach dem Vorbild Schottlands.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2017)

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