Wandlungsfähig wie sein Staat

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Mit Staatschef Mesic tritt das letzte Politfossil Jugoslawiens ab. Doch auch noch sein Nachfolger wird Brücken über nationale Widersprüche bauen müssen. "Ein Präsident müsse mindestens Englisch sprechen können."

Zagreb. Diplomatische Zurückhaltung legt sich Kroatiens meinungsfreudiger Staatschef auch in den letzten Amtstagen keine auf. Kaum verhüllt sprach sich Stjepan „Stipe“ Mesi? gegen die Wahl von Zagrebs Bürgermeister Milan Bandi? zu seinem Nachfolger aus. Ein Präsident müsse mindestens Englisch sprechen können – und die Finanzierung seines Wahlkampfs offenlegen, schrieb der scheidende Amtsinhaber dem empörten Außenseiter vor der Stichwahl am Sonntag ins Stammbuch und gab damit indirekt eine Wahlempfehlung für den Sozialdemokraten Ivo Josipovi? ab. Die serbischen Nachbarn verstimmt der Mann mit dem kurz geschorenen Stoppelbart derweil mit einer letzten Amtsreise in den von Belgrad nicht anerkannten Kosovo.

Ob er sich mit den Nachbarstaaten, kommunistischen oder nationalistischen Weggefährten oder Kroatiens einflussreicher Kirche anlegte: Kontroversen ist der schillernde Politikveteran selten aus dem Weg gegangen. Die nahende Abdankung des 75-Jährigen ist nicht nur für Kroatien eine Zäsur: Mit dem letzten Präsidenten Jugoslawiens tritt einer der letzten aktiven Politiker des zerfallenen Vielvölkerstaats ab.

1934 wurde Mesi? im ostkroatischen Orahovica geboren. Während der deutschen Besatzung schlossen sich seine Eltern im Zweiten Weltkrieg Titos Partisanen an. Obwohl seine Großmutter 1943 von kroatischen Ustascha-Milizen getötet wurde, sollte sich Mesi? später sehr widersprüchlich zur Ustascha äußern. Während er im Kroatien-Krieg Anfang der 1990er-Jahre die Untaten von deren faschistischem Vasallenstaat noch verteidigte, entschuldigte er sich später in Israel für die von der Ustascha begangenen Verbrechen. Bemühungen heimischer Menschenrechtler, auch von Partisanen begangene Massaker zu thematisieren, blockte er als kroatischer Staatschef hingegen stets resolut ab.

Kommunist mit Liebe zum Markt

Während seines Jurastudiums in Zagreb war Mesi? engagierter Aktivist in der kommunistischen Jugendbewegung. Nach seinem Studium wurde er im sozialistischen Jugoslawien Anfang der 1960er-Jahre Direktor einer Agrargenossenschaft – und später Bürgermeister seines Geburtsorts Orahovica. Früh setzte er sich zum Missfallen Belgrads für Privateigentum und marktwirtschaftliche Reformen ein. Nach der Niederschlagung des „Kroatischen Frühlings“ 1971 wurde Mesi? wegen „nationalistischer Propaganda“ zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt – und aus der KP ausgeschlossen.

1990 schloss er sich der von Franjo Tudjman geführten nationalen Sammelbewegung HDZ an. Als Ministerpräsident der Teilrepublik Kroatien übernahm er im Juli 1991 gegen den Widerstand Belgrads turnusgemäß den Vorsitz des rotierenden Präsidiums des vor dem Zerfall stehenden Vielvölkerstaats. „Ich werde der letzte Präsident Jugoslawiens sein“, kündigte er damals an.

Mit dem nationalistischen Autokraten Tudjman überwarf er sich als Parlamentspräsident noch während des Kroatien-Kriegs. 1994 gründete er mit weiteren HDZ-Dissidenten die HND, bevor er 1997 zur liberalen HNS wechselte. Nach Tudjmans Tod wurde Mesi? 2000 zum Präsidenten Kroatiens – und Nachfolger seines Rivalen gewählt.

Konsequent setzte er hernach auf eine proeuropäische Öffnung des in der bleiernen Tudjman-Ära zunehmend isolierten Adria-Staats. Die autoritären Vollmachten, die sein Vorgänger sich und dem Präsidentenamt verliehen hatte, schaffte er wieder ab. Mesi? war einer der ersten Politiker Kroatiens, die sich für die Rückkehr serbischer Vertriebener und eine Zusammenarbeit mit dem UN-Tribunal starkmachten: Auch Kroaten müssten sich ihrer Verantwortung für die in den 90er-Jahren begangenen Kriegsverbrechen stellen, sagte er. „Wir müssen versuchen, den Hass zu eliminieren, der während der Kriege entstanden ist.“

AUF EINEN BLICK

Neuwahlen in Kroatien.
Am Sonntag wählten die Kroaten einen Nachfolger für den seit dem Jahr 2000 regierenden Präsidenten Stipe Mesi?. Mit dem scheidenden Staatschef geht auch eine Ära zu Ende, die von großen politischen Umbrüchen geprägt war: vom Zerfall Jugoslawiens über das unter Franjo Tudjman geführte extrem nationalistisch ausgerichtete Kroatien bis hin zu einer Öffnung in Richtung Europa. Mesi? hat persönlich den gesamten Wandel mitgemacht – war Kommunist, Nationalist und letztlich ein liberaler Europäer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2010)

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