Das Ende von Jamaika: Nur der Präsident hofft noch

Kanzlerin Angela Merkel war am Nachmittag bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu Gast.
Kanzlerin Angela Merkel war am Nachmittag bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu Gast.REUTERS
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Der deutsche Bundespräsident Steinmeier fordert Gesprächsbereitschaft aller Parteien und appelliert an die politische Verantwotung. SPD-Chef Martin Schulz schließt eine Große Koalition erneut aus und will Neuwahlen, was Angela Merkels Optionen reduziert.

Die SPD bleibt dabei: Auch nach dem Scheitern der Koalitionsgespräche zwischen CDU/CSU, Grüne und FDP will die SPD nicht mit Angela Merkels CDU in Verhandlungen treten. Merkel hätte sich bei SPD-Chef Martin Schulz außerdem noch gar nicht gemeldet, verkündete dieser Montagmittag. "Zwei Monate nach der Bundestagswahl haben Union, Grüne und FDP Deutschland in eine schwierige Situation gebracht", sagte Schulz. Die Bürger sollen die Möglichkeit bekommen, die Situation neu zu bewerten. "Wir scheuen Neuwahlen nicht". Die Große Koalition sei eindeutig abgewählt worden, daran würde auch nichts ändern, wenn Merkel (CDU) auf das Kanzleramt verzichte. Mehrfach bezeichnete Schulz die Jamaika-Verhandler als "unfähig". Auf die Frage, ob Schulz' Absage an Schwarz-Rot auch für nach möglichen Neuwahlen gelte, sagte der er: Die SPD strebe eine Regierung an, die sozialdemokratisch geprägt sein soll. Erst müsse der Bundespräsident handeln. Danach werde man sehen, wie das Volk entscheide.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Hoffnung auf einer Regierungsbildung noch nicht aufgebeben. Ihm kommt eine Schlüsselrolle bei den weiteren Entscheidungen zu. Den Auftrag zur Regierungsbildung könne man "nicht einfach an die Wähler zurückgeben", sagte Steinmeier Montagnachmittag nur wenige Minuten nach Schulz' Statement im Schloss Bellevue in Berlin. "Wer sich in Wahlen um politische Verantwortung bewirbt, der darf sich nicht drücken, wenn man sie in den Händen hält", sagte er nach einem Treffen mit Kanzlerin Merkel. Er erwarte von allen Gesprächsbereitschaft, um eine Regierungsbildung in absehbarer Zeit möglich zu machen.

Für die geschäftsführende Bundeskanzlerin Merkel bleiben derzeit nur zwei Optionen: eine Minderheitsregierung oder Neuwahlen. Die Linken forderten noch in der Nacht einen neuen Urnengang. Dies wäre "die demokratisch angemessene Konsequenz", sagte Partei-Vorsitzende Katja Kipping der "Berliner Zeitung". "Mögen die Schwampel-Murkser Angst vor dem Urteil der Wählerinnen und Wähler haben - die Linke wird sich dem stellen." Gleichzeitig können sich die Linken aber vorstellen, im Einzelfall auch Vorhaben einer Minderheitsregierung zu unterstützen, sagte Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch am Montag. "Die Linke stimmt vernünftigen Vorschlägen immer zu."

Von der Auseinandersetzung zu profitieren, hofft nun die rechtspopulistische AfD. "Wir finden es gut, dass Jamaika nicht kommt, denn das wäre eine Koalition des Weiter-so gewesen", sagte der Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, Alexander Gauland, am Montag in Berlin. Er forderte einen Rücktritt der Kanzlerin.

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"FDP schaut zu viel nach Österreich"

Bei den Jamaika-Parteien dominierten am Montag nach dem überraschenden Abbruch der Jamaika-Sondierungen die Schuldzuweisungen. Union und Grüne übten am Montag heftige Kritik an den Liberalen. Dass die FDP kurz vor einer Einigung am späten Sonntagabend abgesprungen sei, habe mehr als nur eine Person verwundert, sagte die stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Julia Klöckner dem SWR. Die Grünen werfen den Liberalen vor, den Abbruch der Gespräche schon seit Längerem geplant zu haben. "Ich glaube die FDP hat das heute morgen, wenn nicht sogar schon vor drei, vier Tagen Tagen beschlossen", sagte der Grünen-Politiker Robert Habeck zur "Presse".

Der Grünen-Parteichef Cem Özdemir wirft der FDP vor, ihr sei es in erster Linie um die Partei und nicht um das Land gegangen. Er rückt die Freidemokraten in die Nähe der FPÖ: "Ich habe das Gefühl, dass die FDP ein bisschen zu viel nach Österreich schaut in letzter Zeit." 

CDU-Generalsekretär Peter Tauber warf der FDP vor, die Sondierungen ohne Grund verlassen zu haben. Der letzte noch strittige Punkt in den Gesprächen sei der Familiennachzug in der Flüchtlingspolitik gewesen und hier hätten sich die Grünen schon bewegt, sagte Tauber dem Deutschlandfunk. Auch bei den Themen Vorratsdatenspeicherung und Solidarzuschlag sei man den Liberalen bereits sehr weit entgegengekommen.

Lindner: "Haben viele Kompromisse gemacht"

FDP-Chef Christian Lindner verteidigte indes den Abbruch der Gespräche. "Wir haben viele Kompromisse gemacht. Es gibt aber auch einen Kern von Grundüberzeugungen", sagt er. Man wisse um die schwierige Lage Deutschlands nun. Wenn es zu Neuwahlen komme, habe die SPD die Schuld, da sie sich Koalitionsgesprächen verweigere. Lindner hatte den Abbruch der Gespräche kurz vor Mitternacht in Berlin mit den Worten begründet: "Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren."

Der FDP-Politiker Volker Wissing gab Bundeskanzlerin Merkel eine Mitschuld am Scheitern der Sondierungen. Die Union sei mit dem Regierungsbildungsauftrag offensichtlich überfordert gewesen, sagte Wissing im Deutschlandfunk. Die Kanzlerin habe "chaotische Sondierungsverhandlungen organisiert. Sie hat die Lage völlig falsch eingeschätzt." Wissing verteidigte den Rückzug seiner Partei aus den Sondierungen. Nach vier Wochen seien zuletzt immer noch über 200 Punkte strittig gewesen. Daher sei am Sonntag klar gewesen, dass ein Jamaika-Bündnis keine Chance habe. "Merkel ist gescheitert", twitterte er später. Sie sei nicht auf die Forderungen der FDP eingegangen.

Zweiter Anlauf der Jamaika-Sondierer denkbar

In der Union wurde Gerüchten widersprochen, Merkel selbst strebe Neuwahlen an und habe als Termin dafür den 22. April angepeilt. "Das ist totaler Quatsch", heißt es in CDU-Kreisen. Der Grünen-Unterhändler Jürgen Trittin rechnete trotzdem eher mit Neuwahlen als mit einer Minderheitsregierung. Von Deutschland werde international eine Rolle als stabilisierender Faktor in der Politik erwartet, sagt Trittin im Deutschlandfunk.

Theoretisch wäre auch ein zweiter Anlauf der Jamaika-Sondierer nach einer Abkühlphase denkbar. Derzeit ist Merkel bis zur Bildung einer neuen Regierung geschäftsführend im Amt. Unklar war zunächst auch, wie sich die Entwicklung auf den Machtkampf in der CSU auswirkt. Dabei geht es um die Frage, wer die CSU in den bayerischen Landtagswahlkampf 2018 führt. "Es ist schade, dass es am Ende nicht gelungen ist, dies zum Ende zu führen, was zum Greifen nahe war", sagte CSU-Chef Seehofer, der Merkel ebenso wie die Grünen dafür dankte, dass sie in den Verhandlungen einen Kompromiss gesucht habe.

(APA/Reuters/AFP/dpa)

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