Lebenslang für den „Schlächter von Srebrenica“

Die Urteilsverkündung musste sich Ex-General Radko Mladić im Nebenraum ansehen.
Die Urteilsverkündung musste sich Ex-General Radko Mladić im Nebenraum ansehen.(c) APA/AFP/POOL/PETER DEJONG (PETER DEJONG)
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22 Jahre nach Ende des Bosnien-Kriegs hat das UN-Kriegsverbrechertribunal Ex-General Ratko Mladić wegen Genozids verurteilt. Doch viele sind damit nicht zufrieden.

Belgrad/Den Haag. Selbstbewusst lächelnd und mit hochgerecktem Daumen hatte der einstige Kriegsherr hinter dem Panzerglas am Mittwochmorgen seinen Platz auf der Anklagebank des UN-Kriegsverbrechertribunals eingenommen. Zwei Stunden später verfolgte Ratko Mladić seine Verurteilung zu lebenslanger Haft vor dem Fernsehschirm in einem Nebenzimmer von der Couch: Weil sich der Ex-General geweigert hatte, sich wieder zu setzen, hatte der vorsitzende Richter, Alphons Orie, den fluchenden Angeklagten vorzeitig aus dem Sitzungssaal entfernen lassen.

„Das ist alles Lüge!“, rief der erregte Mladić bei seinem vorzeitigen Abschied seinen Richtern zu: Diese hatten zuvor den Antrag der Verteidigung abgelehnt, die Urteilsverkündung wegen seines angeblich lebensgefährlich hohen Blutdrucks abzubrechen oder abzukürzen. Von den jüngsten vergeblichen Störmanövern des 74-jährigen Ex-Generals ließ sich das Gericht jedoch nicht beeindrucken. 22 Jahre nach Ende des Bosnien-Kriegs (1992–95) und fünf Jahre nach Prozessbeginn erklärte es den einstigen Oberbefehlshaber der bosnisch-serbischen Armee (VRS) des Völkermords, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und weiterer schwerer Kriegsverbrechen für schuldig.

Zur lebenslänglichen Höchststrafe wurde der 1995 angeklagte, aber erst 2011 verhaftete Mladić vor allem wegen seiner Rolle bei dem generalstabsmäßig geplanten Völkermord an rund 8000 Burschen, Männern und Greisen nach der Einnahme der Muslimenklave Srebrenica verurteilt: Mladić habe als Teil einer „kriminellen Vereinigung zur Vertreibung der muslimischen Bevölkerung aus Srebrenica“ die klare Absicht gehabt, den männlichen Teil der Bevölkerung zu töten sowie Frauen und Kinder gewaltsam wegschaffen zu lassen.

Weitere Klagen des Opferverbandes

Das Urteil wurde in dem zerrissenen Vielvölkerstaat Bosnien und Herzegowina unterschiedlich aufgenommen. „Auch ohne Gericht wissen wir, dass du schuldig bist“, verkündete schon vor der Urteilsverkündung ein Transparent in Bosniens überwiegend von Bosniaken bewohnten Hauptstadt, Sarajewo. In der direkt an Srebrenica angrenzenden Ortschaft Bratunac waren in der Nacht auf Mittwoch hingegen Unterstützerplakate für Mladić aufgetaucht. „Du bist unser Held“, lautet der Text unter dem Antlitz des jahrelangen Justizflüchtlings.

Obwohl Angehörige von Opfern es bedauerten, dass das Gericht den Tatbestand des Genozids bei von Mladić zu verantwortenden Kriegsverbrechen in anderen Regionen nicht erfüllt sah, zeigten sich Vertreter muslimischer Opferorganisationen zumindest über die Verhängung der Höchststrafe zufrieden. Munira Subašić vom Opferverband „Die Mütter von Srebrenica“ kündigte dennoch neue Klagen gegen den bosnischen Teilstaat der Republik Srpska und das benachbarte Serbien an. Sie seien die eigentlich Verantwortlichen für den Genozid.

Auch in Serbien, wo die meisten Medien fast ausschließlich mit dem Gesundheitszustand des durchaus vital wirkenden Angeklagten beschäftigt schienen, stieß das Urteil auf geteilte Reaktionen. Obwohl es gegen Mladić „keinerlei Beweise“ gebe, wolle der Westen mit ihm „alle Serben des Völkermords verurteilen“, polterte der Ultranationalist Vojislav Šešelj. Verhaltener fiel die Reaktion seines einstigen Parteigängers, aber heute proeuropäischen Präsidenten Aleksander Vučić aus, der sich früher noch dafür eingesetzt hatte, einen Belgrader Boulevard nach Ratko Mladić zu benennen. Serbien werde immer die Opfer anderer Nationen respektieren, versicherte Vučić: Aber er sei sich nicht sicher, „dass andere dieselbe Pietät gegenüber unseren Opfern zeigen“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2017)

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