Puigdemont: "Der spanische Staat wurde bezwungen"

Ex-Ministerpräsident Carles Puigdemont, Kopf von Junts per Catalunya (Zusammen für Katalonien), wartet in Brüssel das Procedere ab.
Ex-Ministerpräsident Carles Puigdemont, Kopf von Junts per Catalunya (Zusammen für Katalonien), wartet in Brüssel das Procedere ab.Reuters
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Bei den Regionalwahlen in Katalonien erlangen die Separatisten die absolute Mehrheit der Parlamentssitze, stärkste Partei wird jedoch die prospanische Ciutadans. Bleibt nun alles beim Alten?

Madrid. Die Neuwahl in Spaniens Konfliktregion Katalonien brachte am Donnerstag keine Änderung der Machtverhältnisse: Die drei separatistischen Kräfte, die bis Oktober regierten und die Abspaltung Kataloniens anstreben, konnten am Donnerstag erneut eine absolute Mehrheit von 70 der insgesamt 135 Sitze des Parlaments in Barcelona erringen, teilte die Wahlbehörde nach Auszählung fast aller Stimmen mit.

Ex-Regionalpräsident Carles Puigdemont feierte die von den Separatisten verteidigte absolute Mehrheit in der Nacht auf Freitag in Brüssel. "Der spanische Staat wurde bezwungen", sagte er vor Journalisten und Anhängern in der belgischen Hauptstadt. Dorthin hatte er sich abgesetzt, um in Spanien einer Inhaftierung zu entgehen. Ihm wird von Spaniens Oberstem Gerichtshof vorgeworfen, mit ungesetzlichen Mitteln versucht zu haben, die Unabhängigkeit Kataloniens durchzusetzen. Sein Parteienbündnis erreichte 34 Parlamentssitze.

Trotz der drohenden Festnahme wolle er nach Spanien zurückkehren, falls er vom Parlament zum Präsidenten gewählt werde, sagte Puigdemont in der Nacht. "Rajoy und seine Alliierten haben verloren und von den Katalanen eine Ohrfeige bekommen", sagte er nach der Wahl. Madrid habe die Wahl verloren, "mit der es den Putsch legalisieren wollte".

Bemerkenswerte Zugewinne

Damit ist zu erwarten, dass der Unabhängigkeitskonflikt, der den spanischen Staat an den Rand einer schweren Krise brachte, weitergeht. Denn das Spanien-freundliche Lager konnte bemerkenswerte Zugewinne verbuchen und kam zusammengerechnet auf rund 43 Prozent. Dies ist vor allem der Spitzenkandidatin Inés Arrimadas der Bürgerpartei Ciutadans zu verdanken, die sich auf mehr als 25 Prozent steigern konnte und ihre Partei mit 37 Parlamentssitzen nun zur Nummer eins machte.

Die Anhänger der 36-Jährigen feierten in der Nacht den Sieg der Partei und riefen immer wieder: "Wir sind Spanier!" und "Arrimadas Presidente". Die Parteichefin jubelte: "Zum ersten Mal hat eine verfassungstreue Partei die Wahl gewonnen!"

Für die Unabhängigkeitsbewegung enthält dieser Wahlerfolg einen Wermutstropfen: Denn die Anhänger eines eigenen katalanischen Staates verfehlten mit 48 Prozent der Wählerstimmen knapp ihr Ziel, mehr als die Hälfte der Wählerstimmen hinter sich zu vereinen und damit ihre umstrittene Abspaltungspolitik zu legitimieren.

Rekord bei der Wahlbeteiligung

Angesichts der Bedeutung dieser Wahl, die von der Unabhängigkeitsbewegung als indirektes Referendum über die Abspaltung der Region angesehen wurde, war die Wahlbeteiligung außergewöhnlich hoch. Vor vielen Wahllokalen hatten sich lange Schlangen gebildet. Die Wahlbeteiligung erreichte mit 82 Prozent ein Rekordniveau; insgesamt waren 5,5 Millionen Katalanen wahlberechtigt. In der vergangenen Wahl im Jahr 2015, in der ebenfalls die Unabhängigkeitsfrage im Vordergrund stand, lag die Beteiligung bereits bei 77 Prozent.

Prospanier stellen stärkste Partei

Nach dem offiziellen Teilergebnis wurde die prospanische Partei Ciutadanos mit etwa 25,5 Prozent (2015: 17,9 Prozent) stärkste Partei. Zum spanischen Lager gehören auch die Sozialisten (PSC), die ebenfalls zulegten und auf rund 14 Prozent (2015: 12,7) kamen. Genauso wie die konservative PP von Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy, die freilich mit vier Prozent (2015: 8,5) erhebliche Federn lassen musste. Rajoy hatte gehofft, dass die Separatisten aus der Neuwahl geschwächt hervorgehen und der Konflikt mit der wohlhabenden Region entschärft wird. Der prospanische Block kam demzufolge zusammengerechnet auf gut 43,5 Prozent – das wären 4,5 Prozentpunkte mehr als bei der vergangenen Wahl.

Den zweiten und dritten Platz machten sich zwei Separatistenparteien streitig: Nicht nur die Unabhängigkeitsliste Junts per Catalunya (JxCat) von Ex-Regierungschef Carles Puigdemont sondern auch die Konkurrenzliste Esquerra Republicana (ERC) landeten bei etwa 21,5 Prozent.

ERC-Chef Oriol Junqueras sitzt in Untersuchungshaft wegen der gleichen Vorwürfe, die gegen Puigdemont erhoben werden. Er gab per Briefwahl die Stimme ab. ERC und Junts waren 2015 zusammen angetreten und hatten 39,5 Prozent errungen. Das Bündnis war gescheitert, summiert man die Stimmen kommen beide auf 43 Prozent.

Schwierige Regierungsbildung

Eine Regierungsbildung im zerrissenen Katalonien dürfte schwierig werden. Zumal sowohl der separatistische als auch der prospanische Parteienblock keineswegs geeint, sondern über den künftigen Kurs zerstritten sind. Ein langes Ringen um einen neuen mehrheitsfähigen Ministerpräsidenten zeichnet sich ab. Ein Tauziehen, bei dem auch die kleine linksalternative Protestpartei Catalunya en Comú (Katalonien gemeinsam), die zwischen beiden Lagern steht und für eine blockübergreifende Regierung eintritt, das Zünglein an der Waage sein könnte.

Ein Wunder darf sich von dieser Neuwahl niemand erwarten: Die Katalonien-Krise wird sich nicht plötzlich in Luft auflösen. Egal, wer künftig regiert, alle Seiten werden versuchen müssen, Brücken zu schlagen, wenn sie den bisherigen Grabenkrieg überwinden wollen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.12.2017)

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