Ahed Tamimi steht unter Anklage, weil sie israelische Soldaten geohrfeigt hat. Die Palästinenser stilisieren das Mädchen zur Volksheldin.
Jerusalem. Selbst noch vor dem Untersuchungsrichter und umgeben von israelischen Wachposten will Ahed Tamimi das Lachen nicht vergehen. Verschmitzt blickt sie in die Kamera der Pressefotografen, für die die 16-Jährige mit ihren wilden blonden Locken ein willkommenes Motiv ist. Ahed Tamimi aus dem Dorf Nabi Saleh, nördlich von Ramallah, steht unter dem Verdacht, mehrere israelische Soldaten geohrfeigt zu haben.
Kürzlich verlängerte ein israelisches Militärgericht den Polizeigewahrsam der jungen Palästinenserin um eine Woche. Nun muss sie sich der Anklage der Körperverletzung und Hetze stellen. Das israelische Militär betrachtet sie als Wiederholungstäterin.
Tamimi bestreitet dies auch gar nicht. Im Gegenteil: Bisweilen wirken ihre Handgreiflichkeiten mit den Soldaten sogar durchaus inszeniert. Seit vor fünf Jahren das damals gerade elfjährige, schmächtige Mädchen mit erhobenen Fäusten auf Soldaten losging, ist stets jemand zur Stelle, um den Widerstand der Ahed Tamimi gegen die Besatzungsmächte filmisch zu dokumentieren. Sie stellte die Bilder des jüngsten Zusammenstoßes mit den israelischen Soldaten selbst ins Internet. Mitten in der Nacht zog ein Militärkommando aus, um die Jugendliche zu verhaften, als handle es sich um eine Schwerverbrecherin.
Sie habe mit ansehen müssen, wie Soldaten ihren Cousin mit einer gummiumhüllten Gewehrkugel am Kopf trafen. „Ich konnte nicht ruhig bleiben“, erklärte sie nun vor Gericht. „Kein Vater könnte stolzer auf seine Tochter sein als ich“, kommentierte Bassem Tamimi die Verhaftung. Ahed sei nur „eine von vielen jungen Frauen, die den Widerstand führen werden“, prophezeit er und tourt mit den Videoclips seiner Tochter durch die Welt, um den Boykott gegen Israel zu propagieren.
Eine Terroristin in der Familie
Längst feiern die Palästinenser seine Tochter als Volksheldin. 2012 empfing sie sogar der damalige türkische Premier, Recep Tayyip Erdoğan. In sozialen Medien kursieren Bilder, die sie mit einem Schwert bewaffnet auf einem Pferd zeigen. Schon gibt es ein erstes Lied über die vermeintlich furchtlose Rebellin. Bassem und seine Frau, Nariman Tamimi, sind Aktivisten. Eine Cousine, die 20-jährige Nur, wurde wegen Körperverletzung eines Soldaten ebenfalls bereits angeklagt. Auch Aheds Mutter, Nariman, steht unter Anklage. Zur Großfamilie gehören aber auch islamistische Terroristen, allen voran Aheds Tante Ahlam Tamimi, die 2001 an einem Sprengstoffattentat mit 15 Toten in Jerusalem beteiligt war.
Die Kameras und die Tatsache, dass Ahed Tamimi unbewaffnet ist, mit bloßen Fäusten kämpft, dass sie jung, eine Frau und noch dazu unverschleiert ist, macht es der westlichen Öffentlichkeit leicht, sich mit ihr zu identifizieren oder zumindest zu sympathisieren.
Tamimi sei „ein Symbol für eine neue Generation“, meint der palästinensische Meinungsforscher Ghassan Khatib. Sie stehe für den „friedlichen Widerstand gegen die Besatzung“ und für dessen Fortsetzung. Eine Verurteilung zur Gefängnishaft werde Aheds Heldenstatus nur zusätzlich festigen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.01.2018)