Union und SPD haben Sondierungsgespräche begonnen. Knackpunkte gibt es vor allem zwischen SPD und CSU.
Berlin/Wien. Viel war am Sonntag von Optimismus die Rede, von Tempo, von einer zügigen und intensiven Arbeit in Richtung einer stabilen Regierung. „Ich glaube, es kann gelingen“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel, als der Startschuss für die Sondierungsgespräche zwischen CDU/CSU und SPD am Sonntag fiel. Deutschland steuert nun ganz konkret auf eine Große Koalition zu, wiewohl sich alle Beteiligten auf harte Verhandlungsrunden einstellen, trotz des demonstrativ bemühten Optimismus.
Ein positives Fazit hat SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil über die erste Runde der Sondierungengezogen. Die Unterhändler hätten "ernsthafte, konzentrierte, aber auch offene Gespräche" geführt, sagte Klingbeil, der sich im Namen aller drei Parteien äußerte, am Sonntagabend in der SPD-Parteizentrale in Berlin. Klingbeil verwies in der abgestimmten Erklärung auf die "besondere politische Situation", in der die Gespräche nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen von Union, FDP und Grünen stattfinden. "Wir alle sind uns der Verantwortung, die wir für die Zukunft Deutschlands und Europas gemeinsam tragen, bewusst."
Bis Donnerstag werden sich die Delegationen gegenseitig in das Willy-Brandt-Haus und das Konrad-Adenauer-Haus einladen, zwischendurch einen Abstecher in die bayerische Landesvertretung nahe dem Brandenburger Tor machen. Anschließend befassen sich die Parteien intern mit den Ergebnissen. Die SPD muss auf ihrem Sonderparteitag in Bonn am 21. Jänner den Beginn möglicher Koalitionsverhandlungen ohnehin erst absegnen; mit dieser Bedingung hat der Parteitag ihre Spitze in die Gespräche geschickt, denn die sozialdemokratische Basis ist sich alles andere als einig, was die Neuauflage einer Großen Koalition betrifft. Die Jusos sind strikt dagegen, die Thüringer Landespartei hat diese Koalition gar per Beschluss abgelehnt, wiederum andere pochen weiter auf eine Minderheitenregierung Angela Merkels. Die Kanzlerin lehnt das partout ab.
Plötzliche Personaldebatten
Zuvor hat selbst Parteichef Martin Schulz eine Abmahnung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gebraucht, um seine Oppositionspläne aufzugeben. Nun sagt er mit Blick auf die Große Koalition: „Wir machen das jetzt stabil und schnell.“ Mit der großen Frage, was die Sozialdemokraten denn für Alternativen hätten, schworen sich die Befürworter einer „GroKo“ anschließend auf die Basis ein. Neuwahlen sind teuer, der Wahlkampf mühsam, und vor allem: Wer wird Spitzenkandidat nach den desaströsen 20,5 Prozent unter Schulz bei der Bundestagswahl im September?
Die Zustimmungsrate ist jetzt schon ein wunder Punkt für die Partei. Am Sonntag fiel sie bei Umfragen auf 20 Prozent zurück, so tief wie seit knapp zehn Jahren nicht mehr. Die Ambivalenz innerhalb der SPD macht darüber hinaus eine Personaldebatte deutlich, die plötzlich in die Sondierungsgespräche geplatzt ist: Einige Parteigranden haben sich für eine weitere Amtszeit von Sigmar Gabriel als Außenminister ausgesprochen. Sie wollen damit Martin Schulz Wind aus den Segeln nehmen, den dieses Amt offenbar interessiert. Gabriel selbst ist nicht Verhandler im Sondierungsteam.
Keine Ergebnisse vor März
Die CSU hat indessen angekündigt, Asyl- und Migrationsfragen mit Schwerpunkt verhandeln zu wollen, hier erwarten Beobachter schwierige Verhandlungen mit der SPD. Weitere Arbeitsgruppen, die zeitgleich mit den Sondierungsteams tagen, behandeln Themen wie Energie, Klimaschutz, Bundeswehr, Familien, Jugend und Landwirtschaft. Knackpunkt ist auch die Steuerpolitik, denn die CSU will Unternehmen entlasten, während die SPD den Solidaritätszuschlag auf hohe Einkommen beschränken will. Was die EU-Politik betrifft, müssen die Parteien ausloten, welche Reformvorschläge des französischen Präsidenten, Emmanuel Macron, sie unterstützen. Die Sozialdemokraten dürften auf ihre bisherige Sozialpolitik pochen, das betrifft beispielsweise mehr Geld für Pensionisten und ein Finanzierungsprogramm für Beschäftigungslose, die eine Weiterbildung absolvieren.
Theoretisch könnten die Koalitionsverhandlungen gleich nach einem Ja des SPD-Sonderparteitags beginnen. Mit den Faschingsfeiertagen dazwischen rechnen Beobachter nicht mit einem Abschluss vor März bis Ostern – und damit wäre Deutschland noch nie so lang „regierungslos“ gewesen.
Die Sondierer betonen auch, nicht die Fehler der Jamaika-Sondierungen wiederholen zu wollen, so sollen Zwischenergebnisse nicht an die Medien sickern. Mitte November scheiterten die Gespräche zwischen Union, Grüne und FDP. Sein Nein zu Jamaika hat FDP-Parteichef Christian Lindner jüngst wieder bekräftigt. Während die Liberalen mit neuem Selbstbewusstsein auftreten, suchen die Grünen eine neue Spitze: Cem Özdemir gab nun an, nicht mehr als Fraktionsvorsitzender zur Verfügung zu stehen. (duö)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.01.2018)