Merkel und Kurz: Die neue Eintracht

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Deutschlands Regierungschefin und Bundeskanzler Kurz sind bei dessen Antrittsbesuch in Berlin - trotz politischer Differenzen - um Einmütigkeit bemüht. Merkel will die türkisblaue Koalition an ihren Taten messen und sie beobachten.

Überschwängliche Freude hat Angela Merkel mit Sebastian Kurz und dessen türkisblauer Regierung nicht. Zumindest geizte sie mit Sympathiebekundungen, als sie der österreichische Bundeskanzler am Mittwoch in Berlin besuchte. Doch Freude ist keine politische Kategorie für die deutsche Langzeitregierungschefin - und Überschwang schon gar nicht. „Wir werden die österreichische Regierung an ihren Taten messen“, sagte sie unter großem Medienandrang bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit ihrem Gast – und erlaubte sich dann doch eine kleine Spitze gegen die FPÖ. „Aber wir werden genauer beobachten, als wir es sonst getan hätten.“ Die proeuropäische Ausrichtung der österreichischen Koalition stimme sie jedoch zuversichtlich.

Als eine deutsche Journalistin während der Pressekonferenz die Frage aufwarf, wie man damit umgehen solle, dass sich in der österreichischen Regierung eine Partei befinde, die mit „NS-Symbolen“ spiele, gingen Kurz und Merkel nicht einmal darauf ein. „Ich weiß nicht, ob ich Sie akustisch richtig verstanden habe“, sagte Kurz und holte dann zu einer Erklärung des österreichischen Wahlergebnisses aus. „Österreich ist eine starke Demokratie.“

Merkel, die Pragmatikerin, war um Business as Usual bemüht. Sie suchte Gemeinsames mit Österreich statt Trennendes. Unstimmigkeiten übertünchte sie mit Floskeln – oder mit Witz, etwa so: „Wir haben gelernt, dass Österreich gegen die deutsche Maut klagen will, obwohl wir in Österreich gelernt haben, was eine Maut ist.“

Wenn es nur die Maut wäre, die die Nachbarn entzweite. Viel tiefere Differenzen zwischen ihr und Sebastian Kurz waren in den vergangenen zwei Jahren in der Flüchtlingskrise aufgetaucht. Der österreichische Kanzler bemühte sich erst gar nicht, Auffassungsunterschiede bei seinem Leibthema wegzuwischen. Einen Teil seiner Popularität, in Deutschland zumal, verdankt er seiner Rolle als Gegenpol zu Merkel. „Es ist legitim, wenn Nachbarn und Freunde in der einen oder anderen Frage unterschiedlicher Meinung sind“, sagte Kurz vor der versammelten Berliner Hauptstadtpresse. Doch einen Satz, den er zuvor österreichischen Journalisten in einem Briefing in der Berliner Botschaft zum Besten gegeben hat, wiederholte er im Foyer des deutschen Bundeskanzleramts dann doch nicht. Ganz so direkt wollte Kurz dann seiner Gastgeberin auch nicht um die Ohren hauen, dass er ihre starke Kurskorrektur in der Flüchtlingsfrage begrüße. Dazwischen lag eben ein eineinhalbstündiges Gespräch mit der mächtigsten Frau Europas.

Spaltpilze Flüchtlingsquoten und EU-Budget

Europathemen bildeten den Kern ihrer Unterredung, die sie in Merkels Büro begannen und dann bei einem Mittagessen im achten Stock des Kanzleramts fortsetzten. „Wir brauchen ein handlungsfähiges Europa“, sagte danach die CDU-Vorsitzende, die selber erst eine handlungsfähige Koalition mit der SPD vorantreiben muss. Sie will die Verteidigungskapazitäten der EU stärken, auch den Schutz der Außengrenzen, um endlich auch das Migrationsproblem in den Griff zu bekommen. Da klang die deutsche Kanzlerin wie Kurz, auch wenn Divergenzen bei wesentlichen Details bleiben. Die Diskussion über Flüchtlingsquoten, die Merkel nach wie vor forciert, nehme zu viel Raum ein, erklärte der österreichische Bundeskanzler und bot sich als Brückenbauer zwischen den Visegradstaaten und den übrigen EU-Mitgliedern an.

Auch beim Thema Subsidiarität, einem der ältesten Schlagwörter der EU, öffnete sich bei der Pressekonferenz ein rhetorisches Kompromissfeld zwischen Merkel und Kurz. SPD und Union haben das geduldige Prinzip in ihrem Ergebnispapier nach Abschluss der Sondierungsgespräche hervorgehoben. Und doch zeichneten sich bei allem Willen zur neuen deutsch-österreichischen Freundschaftsbekundung die Konturen eines Konflikts im Ringen um die Zukunft der EU ab, das während des österreichischen EU-Vorsitzes in der zweiten Jahreshälfte seinen Höhepunkt finden könnten. Merkel ließ bei der Pressekonferenz erkennen, dass sie sich unter bestimmten Bedingungen ein gemeinsames Eurozonen-Budget für gezielte Investitionen vorstellen könne. Auch ein EU-Finanzminister ist für sie am Ende eines Reformprozesses vorstellbar. Damit kommt sie dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron entgegen. Kurz lehnt jedoch einen neuen Geldtopf für die Eurozone ab – ähnlich wie der deutsche Ex-Finanzminister Wolfgang Schäuble, den der österreichische Kanzler unmittelbar nach der Zusammenkunft mit Merkel in dessen neuer Rolle als Bundestagspräsident traf.

Und dann bleibt noch ein Streitpunkt, um den sich am Ende alles dreht: das Geld. Kurz hat sich bereits mehrmals darauf festgelegt, dass Österreich seinen EU-Beitrag nicht erhöhen wird. Die elf bis 14 Milliarden Euro pro Jahr, die nach einem Ausscheiden Großbritanniens aus der EU-Kasse wegfallen, sollen seinen Plänen nach durch Einsparungen hereingeholt werden. „Es wäre ein zu einfacher Weg, einfach mehr einzuhalten“, bekräftigte Kurz in Berlin. Es ist eine Eröffnungsposition am Beginn langwieriger EU-Budgetverhandlungen. Ob sie sich durchhalten lässt, ist eine andere Fragen. Merkel, die in ihrer Karriere schon zwei EU-Finanzrahmen ausgehandelt hat, lässt sich nicht in die Karten schauen. Auch sie plädiert für Effizienzsteigerungen, doch schon im Sondierungspakt mit der SPD ließ sie festschreiben, dass Deutschland sein finanzielles Engagement in der EU verstärken werde.

Die richtige Mischung zwischen Alt und Jung

Gelegenheit, seine Positionen ausführlicher darzulegen, hat Sebastian Kurz dann am Abend in einem 50-minütigen ARD-Fernsehinterview mit Sandra Meischberger. Der ehemalige Grünen-Chef, Jürgen Trittin, sollte am Ende auch im Studio dazustoßen, um die Diskussion anzuheizen. Ein österreichischer Kanzler fast eine Stunde im Interview im deutschen Fernsehen? Das gab es noch nie. Kurz erfüllt offenbar eine Nachfrage im Nachbarland: nach einem jungen, konservativen Gegenmodell zu Merkel. Als Merkel darauf in der Pressekonferenz angesprochen wurde, blieb sie gelassen. Es komme auf die richtige Mischung zwischen Alt und Jung an...

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.1.2017)

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