SPD stolpert Richtung Merkel

SPD-Chef Martin Schulz
SPD-Chef Martin SchulzAPA/dpa/Rolf Vennenbernd
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Die SPD-Basis stimmt Koalitionsverhandlungen mit CDU/CSU zu. Der parteiinterne „Zwergenaufstand“ ist damit abgewendet. Für den Moment. Aber das knappe Ergebnis zeigt den tiefen Riss, der durch die Sozialdemokratie geht.

Bonn. Sie haben es in der Hand. Im Wortsinn. Das politische Schicksal von SPD-Chef Martin Schulz, vielleicht auch jenes von Kanzlerin Angela Merkel hängt jetzt davon ab, ob die Delegierten im World Conference Center (WCC) zu Bonn ihre roten Stimmkärtchen heben, ob sie für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit CDU/CSU stimmen, so wie es ihnen die Parteiführung empfohlen hat. 362 Genossen votieren auf dem Sonderparteitag mit „Ja“, 279 mit „Nein“. Neuwahlen sind damit abgewendet. Vorerst. Aber dieser Sieg fällt zu knapp aus, um Schulz zu stärken und die zerrissene Partei zu versöhnen. Und er ist teuer erkauft. Der SPD-Chef hatte den Skeptikern zuvor Zugeständnisse gemacht, die noch zum Problem in den GroKo Verhandlungen werden könnten.

Rebellion gegen GroKo

Der Widerstand gegen die Große Koalition (GroKo) im alten Bonner Regierungsviertel am Rheinufer trug an diesem Sonntag rote Zipfelmützen. Eine selbstironische Anspielung, weil Alexander Dobrindt (CSU) die Anti-GroKo-Proteste in der SPD als „Zwergenaufstand“ verhöhnt hatte. Steve Hudson (48) hat auch eine solche Mütze. Der gebürtige Brite, glühender Anhänger des linken Jeremy Corbyn. ist Vorsitzender des Vereins „NoGroko“. Noch vier Jahre als Juniorpartner an der Seite Merkels „und die SPD ist schwächer als die AfD“, sagt er zur „Presse“. Schräg hinter ihm liegt der alte gläserne Plenarsaal des Bundestags. Bei der letzten Sitzung hier, 1999, stellte die SPD den Kanzler. Seither hat diese stolze Partei mehr als zehn der 20 Millionen Wähler verloren. Sie ist geschrumpft und zerrissen. Der Spalt, sagt Hudson, verlaufe nicht zwischen links und rechts, sondern zwischen „oben und unten“. Also zwischen den höheren SPD-Funktionären und den einfachen Mitgliedern. Die SPD-Spitze war bereits am Abend vor dem Sonderparteitag hochnervös. Die Gastgeber, also die Führung des Landesverband Nordrhein-Westfalen (NRW), wollten plötzlich Nachbesserungen des Sondierungspapiers, das eigentlich schon eine Art komprimierter Koalitionsvertrag sein sollte. Ohne eine Mehrheit bei den 141 NRW-Delegierten geht nichts. Was tun?

„Heute einmal ein Zwerg sein“

Die Parteispitze schrieb spätnachts ihren Antrag um, sie suchte nach Formulierungen, um den GroKo-Skeptikern eine Brücke zu bauen, ohne CDU/CSU zu verprellen. Ein Spagat. Die Sondierungsergebnisse, so heißt es nun im Antrag, seien teilweise „unzureichend“. Zur Erinnerung: Vor neun Tagen fand sie Schulz noch „hervorragend“. Der SPD-Chef will nun „natürlich nachverhandeln“, etwa bei der Zwei-Klassen-Medizin oder der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverhältnissen. Und beim Familiennachzug für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus „müssen“ sich CDU/CSU bewegen, sagt Schulz. Es soll jetzt plötzlich eine „weitergehende Härtefallregelung“ geben. Dass der Familiennachzug weitgehend ausgesetzt bleibt, zählt zu den größten Verhandlungserfolgen für die CSU. Viele SPD-Delegierte zweifeln daher, dass sich die Union hier noch einmal bewegen wird. Jörg Grabowsky zum Beispiel. Der 49-jährige Delegierte hält das Sondierungspapier für „viel zu vage“ und von einer Groko nichts. Die SPD könne nur verlieren: „Alles was gut ist, verkauft Frau Merkel immer als ihren Erfolg“.

Schulz muss viel Überzeugungsarbeit leisten. 58 Minuten redet er in „New York“, wie der Hauptsaal im WCC heißt. Der SPD-Chef sagt, es schwappe eine rechte Welle über Europa – „schaut nach Wien!“ Der Eintritt der SPD in eine Regierung könne diese Welle brechen. Und natürlich redet Schulz wieder über den „Aufbruch für Europa“, den die GroKo bringen würde. An einer Stelle geht das gehörig schief. Schulz sagt, dass ihn gestern Emmanuel Macron angerufen habe. Spöttisches Gelächter und Geraune im Saal. Seine Kontakte nach Paris hat der SPD-Chef wohl einmal zu oft betont. Ein Mitarbeiter eines Bundestagsabgeordneten hört Schulz oben auf der Tribüne zu. Er ist für die GroKo. Und er ist nervös. Schulz müsste viel stärker die Argumente der GroKo-Gegner kontern, findet er. Der SPD-Chef tut dies nur einmal: „Wer sagt denn, dass Neuwahlen nicht den rechten Rand stärken?“, fragt Schulz rhetorisch in Anspielung auf das Argument, wonach die AfD von vier weiteren Jahren Schwarz-Rot profitieren würde. Der Applaus fällt am Ende verhalten aus. Auf dem Parteitag vor zehn Monaten gab es noch minutenlange Standing Ovations für Schulz. Jetzt steht niemand auf. Reicht das für ein „Ja“?

Auftritt Kevin Kühnert. Der Jusos-Chef ist der Anführer des „Zwergenaufstands“. Die Kehrtwendungen der Parteispitze, weg vom Nein zur GroKo nennt er „wahnwitzig“ und beklagt den „immensen Vertrauensverlust“ der SPD. Der 28-Jährige argumentiert geschickt: Er verteufelt das Sondierungsergebnis nicht, lobt sogar „Verhandlungserfolge“. Aber für einen Regierungseintritt reiche es eben nicht. Mit Wortwitz ruft er zum Nein zur GroKo auf: „Heute einmal ein Zwerg sein, um künftig wieder Riesen sein zu können.“ Es gibt viel Beifall, da und dort Gejohle.

Jetzt muss eine Ex-Jusos-Chefin die Stimmung drehen: Andrea Nahles gegen Kühnert. Die SPD-Fraktionschefin redet sich heiser, gestikuliert wild. „Wir geben uns doch nicht auf, wenn wir mit anderen über eine Regierung reden“, brüllt sie ins Mikrofon. Neuwahlen würden die Bürger nicht verstehen“: „Die zeigen uns den Vogel“. Zugleich kündigt Nahles harte Gespräche mit der Union an: „Wir werden verhandeln bis es quietscht auf der anderen Seite“. Die kämpferische Rede gefällt den Genossen. Am Ende reicht es für ein knappes Ja, zumal der Koalitionsvertrag später den Mitgliedern zur Abstimmung vorgelegt wird. Es gibt also noch eine Hürde. Aber vorerst schleppt sich die SPD lustlos und gespalten Richtung GroKo.

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