Merkel, Macron und Europas "Gift"

Angela Merkel sprach sich in Davos gegen Abschottung und Protektionismus aus. Sie plädiert auch für eine stärkere EU-Außenpolitik.
Angela Merkel sprach sich in Davos gegen Abschottung und Protektionismus aus. Sie plädiert auch für eine stärkere EU-Außenpolitik.REUTERS
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Weltwirtschaftsforum Davos. Drei EU-Staatschefs, eine Botschaft für Donald Trump und Europas Rechtsaußenparteien: Abschottung sei der falsche Weg, egal ob ökonomisch oder humanitär.

Diplomatie ist auch eine Frage des richtigen Zeitpunkts. So gesehen ist die Botschaft der EU im Besonderen und Deutschlands im Speziellen deutlich: Angela Merkel reiste nach ihrer Visite am Mittwoch wieder ab, Donald Trump plante seine (vorgezogene) Landung im tiefverschneiten Davos für Donnerstag. Er wolle doch einige bilaterale Treffen unterbringen, mit Großbritannien Theresa May, Israels „Bibi“ Netanjahu, Ruandas Paul Kagame.

Merkel nützte ihren zehnten Auftritt beim Weltwirtschaftsforum für ein Bekenntnis zu freier Marktwirtschaft, multilateralen Verträgen und gegen die Abschottung vor Flüchtlingen und Migration. Da klang sie ähnlich wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der nach ihr sprach, und Italiens Premier Paolo Gentiloni vor ihr.

Trotz euphorischer Stimmung aufgrund guten Wirtschaftswachstums und Konzentration auf das omnipräsente Thema Digitalisierung war und ist Trump schon vor seiner Ankunft der riesige rosa Elefant im Kongresszentrum. Seine Ankündigung von Schutzzöllen führte dazu, dass das Schreckgespenst vom Handelskrieg die Runde macht. Gentiloni rief auf: „Europa, bitte handle.“ Er verstehe den Wunsch mancher Politiker, ihre Bürger und nationale Wirtschaft zu schützen, aber es gebe eine Grenze. Etwa, wenn es etwa um internationale Handelsregeln gehe.

Ganz ähnlich stellte Merkel klar: „Wir glauben, dass Abschottung uns nicht weiterführt. Dass wir kooperieren müssen, dass Protektionismus nicht die richtige Antwort ist. Man muss die Geduld haben, multilaterale Lösungen zu finden, und darf sich nicht in die vermeintlich schnelle Lösung des nationalen Agierens flüchten.“

Italien will offene Grenzen

Fast ident formulierten EU-Spitzenpolitiker ihre Haltung zum Thema Flüchtlinge. Für Gentiloni sei es Italiens klare Entscheidung, sie aus dem Meer zu retten, zu versuchen, einen Korridor nach Libyen zu schaffen und die Grenzen offen zu halten. Das bleibe sein Prinzip, „auch wenn es politische Kosten haben kann“, so der Premier, der bald eine Wahl vor sich hat. Merkel meinte, die Politik habe aus der Geschichte gelernt, dass weder die Chinesische Mauer noch der Hadrianswall im Römischen Reich für lange Zeit funktioniert hätten.

Stattdessen gelte es, mit Nachbarstaaten zu kooperieren; Länder wie Syrien seien Nachbarn Europas. Mittel- und osteuropäische Regierungschefs wie Österreichs Sebastian Kurz sehen das anders.
Und weiter im Paarlauf der Mitte-Rechts-Links-Staats- und Regierungschefs: Merkel nennt den erstarkten Rechtspopulismus „Gift“ für Europa, Gentiloni schließt eine Zusammenarbeit mit Silvio Berlusconis Rechtspartei de facto aus. Beide wünschen trotz Brexit eine starke Partnerschaft mit Großbritannien. Und es gibt einen Punkt, den Merkel an Trump lobt: Dessen Steuerreform helfe nicht nur der Weltwirtschaft, sondern könne andere dazu anregen, ihr Steuer- und Finanzsystem zu reformieren.

Merkel möchte eine stärkere EU: „Wir müssen unser Schicksal mehr in die eigene Hand nehmen. Die einheitliche EU-Außenpolitik ist nicht ausreichend entwickelt.“ Dies sei vor allem nötig, da das Gros der globalen Konflikte „vor unserer Haustür“ stattfinde. Dazu nannte sie Syrien, wo die EU so gut wie gar keine Rolle spiele. Zugleich drängte sie auf weitere wirtschaftliche Integrationsschritte, um ökonomische Stärke zu entwickeln.

„Frankreich ist wieder da“

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, vom deutschen WEF-Präsidenten als „Zukunft Europas“ vorgestellt, bekam Standing Ovations, warb auf Englisch für Strukturreformen in Frankreich und wohl auch Europa samt Steuersenkungen und Flexibilisierung des Arbeitsmarkts sowie für Investitionen in Digitalisierung und Innovation. Und seine Botschaft ist: „Frankreich ist wieder da.“

Er will gegen Konzerne vorgehen, die Steuern vermeiden wollten, befand, die Welt brauche einen neuen Pakt gegen Klimawandel. Er will eine stärkere EU und warb für eine „Zehn-Jahres-Strategie“ für ihre Neuaufstellung, um sie geostrategisch wichtig zu machen. Intern solle es „zwei Geschwindigkeiten“ der Integration geben: Wollten einige Länder vorangehen, dürften andere sie nicht bremsen. Und Macron rief gegen Nationalismus auf: Wenn Staaten nur für eigene Vorteile und gegen eigene Probleme arbeiteten, löse das eine Abwärtsspirale aus. „Wir haben einst gesehen, wohin das führen kann.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.01.2018)

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