Familiennachzug: Union und SPD streiten über Einigung

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Ab 31. Juli sollen pro Monat 1000 Angehörige subsidiär Schutzberechtigter nachziehen dürfen. Doch die Einigung wird von SPD und CDU/CSU unterschiedlich interpretiert.

Union und SPD haben sich auf eine Neuregelung des Familiennachzugs für Flüchtlinge verständigt - und damit einen wichtigen Streitpunkt für den Abschluss der Koalitionsverhandlungen hinter sich gebracht. Doch die Freude über den Durchbruch währte nur kurz. Denn der Teufel steckt im Detail, wie es sprichwörtlich heißt. Die Union widersprach Angaben der Sozialdemokraten, wonach es nun eine Härtefallregelung gibt.

"Die SPD hat über die im Sondierungsergebnis hinaus vereinbarten 1000 Angehörigen pro Monat eine deutlich weitergehende Härtefallregelung - wie vom SPD-Bundesparteitag gefordert - durchgesetzt", sagte SPD-Chef Martin Schulz. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt betonte, dass der in den Sondierungen festgelegte Rahmen nicht überschritten worden sei. "Neue Härtefallregelungen, die ein Mehr an Zuwanderung bedeutet hätten, gibt es nicht", sagte er.

Mit der Einigung am Dienstag hatten die Fraktionen von CDU/CSU und SPD die Voraussetzung geschaffen, dass der Bundestag am Donnerstag mit den Stimmen beider Fraktionen die Aussetzung des Familiennachzuges befristet bis zum 31. Juli verlängern kann. Die Einschränkung gilt allerdings nur für Flüchtlinge, denen zunächst ein einjähriges Bleiberecht in Deutschland zugesprochen worden war. Anerkannte Flüchtlinge sind von der Einschränkung nicht betroffen. Im Bundestag hatten mehrere Fraktionen Anträge zu diesem Thema eingebracht. Die Grünen wollen ein Ende der Einschränkung, die AfD einen Stopp des Familiennachzugs, die FDP eine Begrenzung, ohne eine Zahl zu nennen.

Innenminister Thomas De Maiziere begrüßte die Einigung als "klugen und ausgewogenen Kompromiss". Union und SPD würden hiermit "einer humanitären Verantwortung für Familien in Not gerecht", sagte der CDU-Politiker. Zugleich werde eine "für unsere Gesellschaft berechenbare Kontingentlösung" von tausend Menschen pro Monat geschaffen.

SPD will Zugeständnisse

Das Familiennachzug ist eines von drei Themen den, bei denen die SPD in den laufenden Koalitionsverhandlungen weitere Zugeständnisse erreichen will. Dazu gehören auch die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung von Beschäftigungsverhältnissen und ein Einstieg in die Abschaffung der "Zwei-Klassen-Medizin". Die Union will gegenüber dem Sondierungspapier nach Angaben von CDU-Chefin Angela Merkel vor allem mehr "Zukunftsimpulse" in den Koalitionsvertrag einbauen. Dazu zählt der Ausbau des Breitband-Netzes in Deutschland bis 2025. Am Abend wollen die 15 Spitzenpolitiker in der SPD-Zentrale Willy-Brandt-Haus zu Beratungen zusammentreffen. Dabei soll es vor allem um sozial- und familienpolitische Themen gehen, hieß es in Parteikreisen. Parallel tagen auch Dienstag wieder einige der 17 Facharbeitsgruppen.

Die Einigung erzielten nach Angaben aus Verhandlungskreisen in der Früh die Fraktionsvorsitzenden von Union und SPD, Volker Kauder und Andrea Nahles, und Dobrindt. In den Koalitionsverhandlungen sollen nun noch die Details dieser Anschlussregelung besprochen werden. Unmittelbar nach der Einigung setzten aber unterschiedliche Interpretationen ein. So sprach SPD-Fraktionsvize Eva Högl von einer guten Einigung: "Wir werden eine Übergangsregelung schaffen und die Aussetzung des Nachzugs ausdrücklich nur bis 31. Juli 2018 befristen." Die SPD habe "sichergestellt, dass ab 1. August 2018 der Familiennachzug auch für Familien von subsidiär Geschützen dann endlich wieder möglich ist". Der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionschef Stephan Harbarth widersprach. "Auch in Zukunft wird es keinen Anspruch auf Nachzug zu subsidiär Schutzberechtigten geben."

Schulz braucht einen Erfolg

Besonders umstritten ist, ob die jetzige Einigung über das Sondierungsergebnis hinausgeht, wonach monatlich bis zu 1000 Familienangehörige aus humanitären Gründen nachziehen dürfen. In dem gemeinsamen Antrag heißt es nun, dass Kinder, Ehepartner oder Eltern eines vermindert-schutzberechtigten Flüchtlings nach Deutschland kommen können, "bis die Anzahl der nach dieser Vorschrift erteilten Aufenthaltserlaubnisse die Höhe von monatlich 1000 erreicht hat". CSU.Generalsekretär Andreas Scheuer twitterte: "So wie im Sondierungspapier mit der SPD vereinbart, können dann nur noch maximal 1000 Personen pro Monat im Rahmen der vereinbarten Gesamtzahl nachkommen."

Nach Darstellung der SPD sollen auf die bis zu 1000 Nachzügler pro Monat Härtefälle aber nicht angerechnet werden. Allerdings war in der Union am Montag darauf hingewiesen worden, dass die bereits geltende Härtefallregelung ohnehin nur 60 Personen betroffen habe. Dieser Meinung vertritt auch die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl, die den Kompromiss ebenso wie die Grünen und die Linke scharf verurteilte. Die Einigung sei "absolut unzureichend", erklärte die Organisation am Dienstag. Die Härtefallregelung neben dem Kontingent weiterlaufen zu lassen sei ein Alibi: Nur knapp 100 Betroffenen sei in der Vergangenheit auf diesem Weg geholfen worden.

SPD-Chef Schulz hat ein Interesse, die Einigung als Erfolg darzustellen. Denn das Thema Familiennachzug dürfte eine wichtige Rolle bei der Frage spielen, ob es bei einem nötigen SPD-Mitgliedervotum über einen Koalitionsvertrag eine Mehrheit gibt. Erst dann wäre der Weg frei, mehrere Monate nach der Bundestagswahl eine neue Bundesregierung zu bilden. Entsprechend kritisch äußerte sich der Wortführer der GroKo-Gegner bei den Sozialdemokraten, Juso-Chef Kevin Kühnert, zu der Einigung. "Die SPD geht beim Familiennachzug in Vorleistung und bekommt von der Union dafür ungedeckte Schecks", sagte Kühnert dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Mittwochsausgaben).

(APA/Reuters/red.)

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