Stalingrad-Gedenken: Putin appelliert an Patriotismus

Erinnerung an die Schlacht. Putin legt Blumen am Mamajew-Hügel nieder.
Erinnerung an die Schlacht. Putin legt Blumen am Mamajew-Hügel nieder. (c) REUTERS (MAXIM SHEMETOV)
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Im südrussischen Wolgograd wurde der Kapitulation der Wehrmacht vor 75 Jahren gedacht. Präsident Putin präsentierte sich in seiner kurzen Rede als Vater der Nation.

Moskau/Wolgograd. Der Auftritt des Präsidenten vor dem Wolgograder Konzertpublikum dauerte keine fünf Minuten. Und doch beinhaltete die Grußbotschaft Wladimir Putins, in der er an die „grandiose Schlacht“ von Stalingrad erinnerte und den im Publikum sitzenden Veteranen zu ihrer Tapferkeit gratulierte, auch die Essenz des Putinismus. Der im schwarzen Anzug gekleidete Staatschef sprach in ernstem Ton von der Selbstaufopferung der Russen und dem Vermächtnis des Triumphs der Roten Armee, nämlich der Pflicht zum Patriotismus. Klar war: Hier geht es nicht um Politik, sondern um etwas Größeres, etwas, was das Land überpolitisch eint.

Feiertage wie der gestrige, aus Anlass der Kapitulation der Wehrmacht in Stalingrad vor 75 Jahren, dienen neben dem individuellen Gedenken zur Verstärkung dieses kollektiven Bewusstseins. Die 200 Tage dauernde Schlacht war ein Wendepunkt im Zweiten Weltkrieg, ein Sieg der Roten Armee, errungen unter großen Verlusten. Es ist ein „blutiger Feiertag“, wie ein Bewohner Wolgograds stolz in eine Fernsehkamera sagte. Denn viele russische Familien haben auf diesem Schlachtfeld Großväter, Onkel, Cousins verloren.

Geschätzte 900.000 sowjetische Soldaten ließen hier ihr Leben. Genaue Zahlen fehlen bis heute. Von der Viertelmillion Wehrmachtssoldaten, die in die Industriestadt an der Wolga einzogen, lebten bei der Kapitulation noch 110.000. Nur 6000 kehrten aus der sowjetischen Gefangenschaft zurück.

Kämpferisch damals und heute

Natürlich, das Gedenken an Weltkriegsjubiläen wurde seit Sowjetzeiten hochgehalten. Doch in den vergangenen Jahren ist es zu einem Fixpunkt in der offiziellen Geschichtspolitik geworden. Der Triumph der Roten Armee, die imperiale Stärke der Sowjetunion sind Vorbild für das heutige Russland unter Putin geworden, das abermals siegreich aus der Konfrontation mit neuen Feinden hervorgehen soll.

Der Kampf gegen faschistische Kräfte, die manche Russen heute etwa in der Ukraine zu erblicken meinen, wird zum generationenverbindenden Narrativ. Die (unvergleichlich härteren) Entbehrungen von damals werden mit heutigen Einschränkungen verglichen, etwa mit den durch die westlichen Sanktionen bedingten Einbußen.

Stolz auf die Vergangenheit, mit dem Blick in die Zukunft – auch diese Richtung gab Putin in seiner Rede vor. Und doch hängt die unmittelbare Zukunft des Landes im Nebel, so wie der Himmel in Wolgograd am gestrigen Freitagmorgen. Kennzeichnend ist vielmehr, dass über die konkrete Zukunft wenig gesprochen wird. Natürlich, die Wirtschaft solle erfolgreicher laufen, das Gesundheitssystem und die Bildungsperspektiven sollen verbessert werden – aber da es keine Konkurrenz gibt, gibt es keine Konkurrenz der Ideen.

Putin ist bei wichtigen Anlässen wie dem gestrigen einfach anwesend, als eine Art Vater der Nation. Sonst ist die Kampagne für die Wahl im März aufs Minimum reduziert. Der Präsident besucht verschiedene Regionen, absolviert Auftritte in geschützten Räumen, wo er auf eine ausgewählte Schar an Unterstützern trifft: So geht es von Fabrikskollektiven zu einem Atomkraftwerk, wo er den „Start“-Befehl erteilt, von der Besichtigung der Stadien für die Fußballweltmeisterschaft bis hin zu ermüdenden Diskussionsrunden mit regionalen Wirtschaftsvertretern.

Flugshow über der Wolga

Das Staatsfernsehen übertrug die zahlreichen Veranstaltungen anlässlich der „Vernichtung der Faschistentruppen“, wie es wörtlich hieß, mit Live-Berichten. Am Vormittag fand auf dem Platz der gefallenen Kämpfer eine Militärparade statt, bei der alte und neue Militärtechnik präsentiert wurde.

Soldaten paradierten in historischen Uniformen und aktueller Armeekleidung. Insgesamt 75 Militärfahrzeuge fuhren vorbei an den Zuschauern, die anlässlich des freien Tages gekommen waren, darunter viele Kinder: T-90-Panzer, Haubitzen, die erprobte Katjuscha ebenso wie die neuen mobilen Raketensysteme Smertsch, Iskander und Triumf. Am Himmel über der Wolga stiegen Helikopter und Kampfjets auf. Tagelang war der Auftritt geprobt worden, in der Nacht, trotz Schnees und Minustemperaturen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.02.2018)

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