Die Tagebücher des Jassir Arafat und ein Treffen im „Imperial“

Jassir Arafat – ein Mysterium für Israel und den Rest der Welt.
Jassir Arafat – ein Mysterium für Israel und den Rest der Welt. (c) REUTERS (Abed Omar Qusini)
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Das italienische Magazin „L'Espresso“ enthüllt angebliche Bestechungsgelder Berlusconis an den Führer der Palästinenser und einen Antiterror-Pakt der PLO mit Italien.

Es mag bloßer Zufall gewesen sein, dass am 27. Juli 1998 Silvio Berlusconi im opulenten Foyer des Hotel Imperial in Wien wartete – und oben im ersten Stock Jassir Arafat in seiner Suite mit mehrstündiger Verspätung zu später Stunde österreichischen Journalisten ein Interview gab, als wäre es eine Audienz. Gezeichnet von einer Krankheit murmelte Arafat eher, als dass er sprach. Fast 20 Jahre nach dem heißen Sommerabend eröffnet sich indessen ein neuer Blick auf diese Koinzidenz.

Womöglich sind damals der italienische Ex-Premier und der Palästinenserführer zu einer diskreten Absprache in Wien zusammengekommen. Das italienische Nachrichtenmagazin „L'Espresso“ zitiert nämlich aus den bis dato geheimen 19 Tagebüchern Arafats, wonach die beiden Staatsmänner in einer europäischen Hauptstadt eine Vereinbarung getroffen hätten.

Demnach leistete Arafat 1998 in einem Korruptionsprozess gegen Berlusconi einen Meineid. Er sagte aus, die inkriminierten zehn Milliarden Lire – heute rund fünf Millionen Euro –, die als verdeckte Parteienfinanzierung mutmaßlich an die Sozialisten Bettino Craxis geflossen sind, seien für die PLO bestimmt gewesen. Im Gegenzug bedachte Berlusconi die Palästinenser-Führung mit regelmäßigen Zuwendungen, über die Arafat penibel Aufzeichnung führte.

Das Mysterium um Arafat

Es ist die brisanteste Enthüllung aus der „Espresso“-Titelgeschichte, die mitten in den italienischen Wahlkampf platzt. Seit Jassir Arafat am 11. November 2004 im Militärspital in Clamart an der Pariser Peripherie starb, wollten Spekulationen um eine Vergiftung des Palästinenser-Führers nicht verstummen. Vertraute Arafats – darunter seine Witwe Suha – fordern neuerlich eine Exhumierung der Leiche, die in einem prachtvollen Mausoleum im Hauptquartier der palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah bestattet ist. Eine erste Untersuchung ergab nichts Auffälliges. Doch über dem Tod liegt nach wie vor ein Schleier des Mysteriums.

Statt neuer Indizien tauchten nun angebliche Tagebücher Arafats aus 1985 bis 2004 auf, die zwei Gewährsleute in Luxemburg aufbewahrt hatten und einer Stiftung in Frankreich zu Studienzwecken zukommen ließen. „L'Espresso“ erhielt Einsicht und druckte die pikantesten Details ab – von den Geheimverhandlungen, die zum Osloer Friedensabkommen führten, über die Beziehungen zu Staatschefs und Despoten à la Fidel Castro bis zur Italien-Connection. Auf Drängen Arafats ließ 1985 die Regierung in Rom unter Premier Craxi und Außenminister Giulio Andreotti den palästinensischen Terroristen Mohamed Zaidan alias Abu Abbas, den Mastermind der Entführung des italienischen Kreuzfahrtschiffs „Achille Lauro“ im südlichen Mittelmeer, laufen. Er suchte Zuflucht in Tunesien. Im Gegenzug schloss der PLO-Chef einen Antiterror-Pakt mit Italien: keine Terrorangriffe auf italienischem Boden. „Italien ist die palästinensische Mittelmeerküste“, schreibt der Palästinenser-Führer. Laut Arafat agierte Andreotti hinter den Kulissen oft als Vermittler zwischen den USA und den Palästinensern.

Attentatsversuche des Mossad

In den Tagebüchern beschreibt Arafat Zweifel über die späte Hochzeit mit der 34 Jahre jüngeren Suha Tawil 1999. „Ich bin doch mit Palästina und seinem Volk verheiratet.“ Für Terroranschläge der Palästinenser musste er seinen Sanktus erst gar nicht erteilen. Die finale Entscheidung überließ er den Terrorgruppen. Hinterher quittierte er die Angriffe in seinen Notizen indes mit Zufriedenheit.

Im ersten Irakkrieg habe er mit Saddam Hussein, dem irakischen Diktator und seinem Verbündeten, telefoniert, um ihn von seinem „Wahnsinn“ abzuhalten, schreibt er weiter. Und er charakterisiert Shimon Peres, seinen israelischen Co-Verhandler und Friedensnobelpreisträger, ein wenig enigmatisch als „exzellenten Mann und wundervolles Ornament“ – vielleicht im Sinn als Feigenblatt.

Der israelische Geheimdienst Mossad trachtete Jassir Arafat jahrzehntelang nach dem Leben. Ariel Scharon, der Verteidigungsminister und spätere Premier, sei geradezu besessen von der Idee gewesen, schildert der israelische Journalist Ronan Bergman in einem neuen Buch („Rise and Kill First“). Scharon habe täglich angerufen, ob eine neue Kommandoaktion geplant sei.

Arafat galt als extrem vorsichtig und wechselte ständig sein Quartier. Mehrmals entging er israelischen Bomben in Beirut und Tunis nur knapp. Zudem verbreitete Arafat gezielte Desinformation über seine Reisepläne. Er war im Visier Israels – selbst als er in Zivilflugzeugen flog. Ein Abschuss über dem Mittelmeer galt eine Zeitlang als favorisierte Methode. Einmal sagte der Mossad einen Anschlag gegen eine Frachtmaschine in letzter Minute ab – im Flugzeug saßen Arafats Bruder Fathi, ein Kinderarzt, und 30 verletzte palästinensische Kinder. Und einmal setzte Israel quasi einen „Manchurian Candidate“ ein: der Mossad programmierte einen palästinensischen Gefangenen als Attentäter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2018)

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