„Wollen wir in diesem Land wirklich Industrie?“

Stahlarbeiter
StahlarbeiterAPA/AFP/VASILY MAXIMOV
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Schon Trumps Vorgänger Bush und Obama verfügten Strafzölle. Beide Male vernichteten sie US-Arbeitsplätze.

Brüssel. Am Morgen des 23. Juli 2002 eröffnete Dan Mazullo, der Vorsitzende des Ausschusses für Kleinunternehmen im US-Abgeordnetenhaus, die Sitzung mit einer fünffachen Hiobsbotschaft. Erstens müssten seit der Einführung der Strafzölle auf Stahl durch Präsident George W. Bush vier Monate zuvor kleine Stahlverarbeiter um bis zu 80 Prozent höhere Preise zahlen. Zweitens würden die US-Stahlkonzerne zuerst die Großindustrie beliefern, weshalb Kleinunternehmen nun vielerorts von Monat zu Monat planen müssten. Drittens seien ihre Produkte nun für den Weltmarkt zu teuer; die größten Marktanteile verlören sie an chinesische Konkurrenten. Viertens hätten viele von ihnen bereits Arbeitnehmer entlassen müssen. Und fünftens würden die großen Stahlkocher diese Bredouille ausnutzen, um bestehende Lieferverträge zu kündigen und ihre Preise hinaufzuschnalzen.

„Die heimischen Stahlhersteller sagen den kleinen Stahlverarbeitern: ,Na, klagt uns doch!‘“, lamentierte Mazullo, ein Republikaner aus einem kriselnden Industriebezirk in Illinois. „Sie können es sich aber nicht leisten zu klagen. Ist das die Belohnung, die sie für Jahre der Kundentreue erhalten?“ Und er appellierte an seine Ausschusskollegen beider Parteien, den Präsidenten rasch zur Aufhebung der Zölle zu drängen: „Was tun wir? Wollen wir wirklich eine Industriebasis in diesem Land? Oder schicken wir bloß eine Einladung, nach Übersee abzuwandern?“

Strafzölle wurden zum Bumerang

Man kann den Eindruck gewinnen, dass Amerikas Stahlindustrie seit mehr als einer Generation ständig in der Krise ist. Denn schon damals ließ sich Präsident Bush von den Umsatzeinbrüchen amerikanischer Stahlkocher zum Einsatz der gefährlichsten Handelsmaßnahme verführen, wie es sein Nachnachfolger Donald Trump nun zu tun androht. Per 5.März2002 verfügte Bush, dass importierter Stahl mit zusätzlichen Zöllen zwischen acht und 30Prozent belastet werden solle. Im Gegensatz zu dem, was Trump nun ankündigt, hat diese handelspolitische Kriegserklärung nicht der ganzen Welt gegolten. Hersteller in Kanada und Mexiko waren ausgenommen, sonst wären US-Konzerne im Rahmen des Vertrags über die nordamerikanische Freihandelszone Nafta postwendend bestraft worden.

Dennoch entfalteten, wie die eingangs zitierte Anhörung auf dem Capitol Hill veranschaulicht, die amerikanischen Strafzölle binnen kürzester Zeit dieselben Folgen, die sie in einer vernetzten, grenzüberschreitend arbeitsteiligen Weltwirtschaft logischerweise stets haben müssen: Die Kosten für Industrieunternehmen, die den auf diese Weise verteuerten Rohstoff benötigen, steigen in einem ersten Schritt durch den Zoll an sich und in einem zweiten durch die Preistreiberei der heimischen Stahlkocher. Sie zwingen Kleinunternehmen Wucherpreise auf oder beliefern sie einfach gar nicht mehr. Die Folgen sind künstlich erhöhte Preise für die Fertigwaren, die auf den Weltmärkten unattraktiv sind, der Verlust von Kunden und die Entlassung von Arbeitnehmern.

Das klingt abstrakt, gewinnt bei menschlichen Einzelschicksalen jedoch rasch an Bedeutung: „Wenn das so weitergeht, weil es an Stahl mangelt oder die Stahlkosten unsere Kessel zu teuer machen, wird das mich und meine Familie in eine schlimme Lage bringen“, sagte der Stahlarbeiter und sechsfache Vater Gordon Jones bei der Anhörung. „Wenn mein Lohn gekürzt wird, weiß ich nicht, wie wir es schaffen.“

Präsident Trump sieht die Dinge 16 Jahre später anders und in schlichteren Formen. „Handelskriege sind gut und einfach zu gewinnen“, erklärte er der Welt am Freitag mittels eines Tweets. „Zum Beispiel, wenn wir gegenüber einem bestimmten Land 100 Milliarden Dollar im Rückstand sind und es frech wird, handeln wir mit ihm nicht mehr – und wir gewinnen klar.“

Obamas Reifenplatzer

An der Evidenz dieser Behauptung darf gezweifelt werden. Auch Trumps Vorgänger Barack Obama machte die Erfahrung, dass man sich mit Importzöllen Eigentore schießen kann. 2009 führte er einen 35-prozentigen Strafzoll auf Reifen aus China ein. Das rettete zwar kurzfristig rund 1200 amerikanische Arbeitsplätze in Reifenfabriken. Doch im Reifenhandel gingen einer Studie des Peterson Institute of International Economics zufolge mehr als 3700 Stellen verloren. Denn die US-Hersteller nahmen die Einfuhrzölle zum Anlass, ihre Preise zu erhöhen – weshalb die Autofahrer weniger Reifen kauften. Und auch Amerikas Geflügelzüchter durften sich schön bedanken. Denn China verhängte als Gegenmaßnahme Strafzölle auf US-Hühnerteile. Das kostete rund eine Milliarde Dollar an entgangenem Geschäft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.03.2018)

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