Der slowakische Präsident verlangt eine umfassende Kabinettsumbildung oder Neuwahlen. Vor allem Innenminister Kaliňák gerät nach Attentat auf Aufdeckerjournalist Ján Kuciak ins Zentrum der Kritik.
Bratislava. Was als Kriminalfall rund um den Mord am Aufdeckerjournalisten Ján Kuciak begann, wird in der Slowakei immer mehr zur politischen Krise. Den Kopf von Innenminister Robert Kaliňák fordern längst nicht mehr nur Oppositionspolitiker und regierungskritische Medien, sondern auch immer mehr Politiker der Dreiparteienkoalition, sogar in dessen eigener Partei. Auch dem Polizeipräsidenten Tibor Gašpar misstrauen lange schon viele – wegen seiner politischen Abhängigkeit von Kaliňák. Immer lauter wird aber auch der Ruf nach einem Rücktritt des sozialdemokratischen Premiers Robert Fico selbst.
Die kleinsten Oppositionsparteien rufen am lautesten nach Neuwahlen. Den größten Paukenschlag setzte bisher Staatspräsident Andrej Kiska, der seine Ansprache an die Nation am Sonntagabend eigentlich noch mit beschwichtigenden Worten begonnen hatte: „Das Letzte, das unsere Gesellschaft in dieser angespannten Situation braucht, ist ein Polit-Theater der höchsten politischen Repräsentanten im Fernsehen.“ Die Worte, die er dann folgen ließ, haben aber endgültig das Tischtuch zwischen ihm und der Regierung zerrissen: „Das Misstrauen der Menschen gegen den Staat ist riesig geworden. Und dieses Misstrauen ist begründet“, resümierte er die Stimmung, die er bei der Trauerkundgebung für den ermordeten Journalisten Kuciak und seine Verlobte wahrgenommen habe.
Protest gegen Mafia
Er sehe nur mehr zwei Auswege: Entweder „eine grundlegende und umfassende Regierungsumbildung“, die das Vertrauen der Bevölkerung wiederherstelle – was wohl eine Übergangsregierung ohne Kaliňák und Fico bedeutet. Oder Neuwahlen, die zumindest bis zu den Kommunalwahlen im November stattfinden sollen.
Zehntausende Menschen hatten am Wochenende der beiden Toten gedacht. Viele hatten dabei Transparente gegen die Mafia und die Regierung mit sich getragen. Der 27-jährige Kuciak und seine Verlobte, Martina Kusnirova, waren vor einer Woche in ihrem Haus im westslowakischen Dorf Ve?ká Mača tot aufgefunden worden. Nach Polizeiangaben waren sie zwei bis drei Tage davor durch Schüsse in Kopf und Brust im Stil einer Exekution getötet worden.
Kuciak hatte über die Verfilzung von Politik und Geschäftemacherei recherchiert und war bei seinen Untersuchungen der Panama-Papers auf Verbindungen italienischer Mafiaclans zu slowakischen Politikern und Beamten gestoßen. Weil die beiden jungen Menschen offenbar schon mindestens drei Tage tot waren, als man sie fand, gestaltet sich die Fahndung nach den Tätern als schwierig. Inzwischen zog auch Generalstaatsanwalt Jaromír Čižnár die Arbeit von Polizeipräsident Gašpar in Zweifel: Es mache kein gutes Bild, wenn die Polizei spekulative Tatversionen veröffentliche.
Was als heißeste Spur gilt, wirft aber das schlechteste Licht auf die politische und ökonomische Elite der Slowakei. Demnach waren Kuciak gerade seine Recherchen zum Missbrauch von EU-Förderungen und Staatssubventionen durch das Netzwerk aus italienischen Mafiaclans mit Politikern und Regierungsbeamten, die sie deckten, zum Verhängnis geworden.
Überprüfung durch EU
Auch die EU-Kommission hat deshalb angekündigt, sie wolle sich die Vergabe von EU-Fördermitteln in der Slowakei nochmals genauer ansehen.
Ab Mittwoch will außerdem eine Delegation aller Fraktionen des EU-Parlaments eine dreitägige Erkundungsreise in die Slowakei beginnen, um nicht zuletzt auch das vergiftete Verhältnis zwischen der Regierung und den meisten Medien zu untersuchen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.03.2018)