Experte: Slowakischer Premier hat Legitimität verloren

Robert Fico.
Robert Fico.APA/AFP/ATTILA KISBENEDEK
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Soziologe Vasecka sieht Slowakei auf dem "Höhepunkt einer Gesellschaftskrise" - Robert Fico werde sich trotz breitem Druck an der Macht halten wollen.

Der brutale Mord am Investigativ-Journalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten hat die Slowakei nicht nur in eine tiefe politische Krise schlittern lassen. "Was die Slowakei derzeit durchlebt, ist der Höhepunkt einer Gesellschaftskrise", sagte der slowakische Soziologe Michal Vasecka in Hinblick auf die Entwicklungen in den vergangenen Tagen gegenüber der Austria Presseagentur.

Es handle sich um eine Krise des Vertrauens, nicht nur in das demokratische Regime, sondern auch in die Fähigkeit der Slowakei, eine moderne liberale Demokratie zu sein, erklärte Vasecka. Die Menschen glaubten einfach nicht mehr, dass die Slowakei mit den westlichen europäischen Ländern kompatibel sei, so der Soziologe. Sie seien ihren Repräsentanten und dem Funktionieren vieler Institutionen gegenüber sehr zynisch geworden.

Der Journalistenmord habe das Land verändert. Das ganze Land fühle sich betroffen, nicht nur von der Tat selbst, sondern auch von den im Anschluss veröffentlichten letzten Enthüllungen des Investigativjournalisten über die Verstrickungen der italienischen Mafia bis in die höchsten Ebenen des Staates. "Ich denke, es hängt mit der Geschäftemacherei und den Verbindungen zur Politik zusammen, die plötzlich allen bewusst geworden sind." Jahrelang haben Menschen davon gelesen und den Berichten mehr oder weniger Glauben geschenkt, so der Soziologe. Nun sei das Problem aber in einer Form aufgetaucht, die jeder begreife.

Konsequenzen für die Regierung

Laut Vasecka hat dies für die Regierung des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Robert Fico gewaltige Konsequenzen. "Fico ist in einer Phase angelangt, in der er jede Legitimität verloren hat, das Land weiter zu regieren." Dies ist seiner Meinung nach auch der zentrale Punkt des aktuellen innenpolitischen Streits.

"Für Menschen, die Ficos Sicht teilen, leitet sich die Legitimierung der Macht ausschließlich vom Wahlergebnis ab. Wer Wahlen gewinnt und eine Regierung bildet, hat Anspruch, das Land zu regieren", sagte Vasecka. Die Legitimierung der Macht könne aber auch durch problematische Regierungspolitik verloren gehen, wie zum Beispiel, dass jemand grundsätzlich gegen verfassungsrechtliche Gewohnheiten verstoße oder sich gegen das Volk seines Landes wende. Eine bürgerliche Gesellschaft habe das Recht, darauf zu reagieren und zu verlangen, dass dies behoben werde, so der Experte. Dies könne in Form eines Wechsels von Ministern bis hin zur Forderung von Neuwahlen geschehen.

In der Slowakei habe sich eine breite Allianz gegen die sozialdemokratische Regierungskoalition gebildet, berichtete Vasecka. Der Druck komme von allen Seiten: Von einer sehr breit definierten bürgerlichen Gesellschaft, von der Parlamentsopposition, selbstverständlich von den Medien und überraschenderweise auch seitens der Kirche. "Das ist neu in der Slowakei", meinte der Soziologe.

In den letzten zehn Jahren habe Fico einen "Waffenstillstand" mit der Kirche sehr geschickt eingehalten. Nun spürten aber auch Kirchenvertreter, dass mit dem, was jetzt geschehen sei, eine Linie überschritten worden sei. Dazu gehöre nicht nur der Mord selbst, sondern auch die darauffolgende Enthüllung von Verbindungen "düsterer" Kräfte zu den höchsten Ämtern im Staat. Die Kirche habe angefangen, ganz deutlich darüber zu reden, dass eine solche Regierung nicht rechtens sei, so Vasecka.

Fico "wie einst Victor Orban"

Es zeige sich nun allerdings, dass Ministerpräsident Fico den legitimen Druck bestreite und anfange, Gerüchte über Umsturzversuche zu verbreiten, sagt Vasecka. Er helfe sich mit Konspirationstheorien, denen zufolge die bürgerliche Gesellschaft, der Präsident und die Opposition im Parlament von mysteriösen Zentren im Ausland gesteuert werden. "Er hat sich damit auf den Weg der Konfrontation begeben und will sichtlich keine Rückzieher machen", konstatierte der Soziologe. Fico begebe sich damit auf denselben Weg wie einst Viktor Orban, was eine Polarisierung der Gesellschaft zu Folge habe.

Vasecka sieht darin einen Versuch, Extremisten und Faschisten in der Slowakei direkt anzusprechen. Fico habe deren Rhetorik übernommen und versuche, sich ihnen anzunähern, so der Soziologe. "Er wird versuchen, auch durch die Unterstützung seitens der 14 Abgeordneten der Volkspartei unsere Slowakei (LSNS) mit seiner Regierung im Parlament (politisch, Anm.) zu überleben".

Mit der Suche nach neuen Bündnispartnern habe Fico eine für ihn typische Strategie gewählt, um sich so lange wie möglich an der Macht zu halten, meinte Vasecka. "Ich denke, wir werden noch Zeugen von sehr viel Taktik hinter den Kulissen sein", sagte der Soziologe. Dieses Vorgehen werde die Menschen von der Politik noch weiter entfremden und könnte sich bei den nächsten Parlamentswahlen rächen, da es extremistische Antisystem-Parteien fördere und sicher nicht zu Wahlergebnissen führe, die man als proeuropäisch bezeichnen könnte, so Vasecka.

Was in der Slowakei weiter geschehen werde, ist für den Soziologen kaum abschätzbar. Theoretisch könnte Robert Fico mit seiner Regierung auch bis zu den nächsten regulären Parlamentswahlen in zwei Jahren durchhalten. Aber die Unterstützung für ihn bröckle, sagte der Experte. Früher oder später werde die mitregierende slowakische-ungarische Versöhnungspartei Most-Hid aufhören, die aktuelle Dreierkoalition zu unterstützen. Dies könnte in einer Woche geschehen, aber noch Monate dauern. Die Regierungskoalition werde dann auf zwei Parteien zusammenschrumpfen, die Smer (Richtung) von Fico und die nationalistische Slowakische Nationalpartei SNS.

(red./APA)

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