Giftaffäre: Die Rätsel im Fall Skripal werden immer größer

Wieder genesen: Julia Skripal.
Wieder genesen: Julia Skripal. (c) APA/AFP/FACEBOOK PAGE OF YULIA S
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Die Tochter des vergifteten russischen Ex-Spions ist nach fünf Wochen aus dem Spital entlassen worden. Auch ihr Vater macht „gute Fortschritte“. Die Affäre hat sich zu einem Propagandakrieg zwischen Moskau und London ausgewachsen, in dem immer mehr Fragen auftauchen.

London. Boris Johnson, britischer Außenminister und üblicherweise nicht auf den Mund gefallen, übte sich gestern in vornehmer Zurückhaltung. Die Meldung, dass Julia Skripal fünf Wochen nach dem Giftanschlag im südenglischen Salisbury aus der Krankenhauspflege entlassen werden konnte, war dem Foreign Office vorerst keine Stellungnahme wert. Die wundersame Heilung der Tochter des ehemaligen russischen Geheimdienstmannes Sergej Skripal, der sich ebenfalls auf dem Weg der Besserung befindet, droht in den Augen Londons zu einem Propagandacoup für Moskau zu werden.

Prompt ließ es sich die russische Botschaft in London auch nicht nehmen, Julia Skripal via Twitter „zu ihrer Genesung zu gratulieren“. Zugleich warnte Moskau: „Wir verlangen dringend Beweise, dass, was mit ihr geschieht, aus ihrem freien Willen erfolgt.“ Die russische Führung hat seit dem Anschlag am 4. März alle Anschuldigungen zurückgewiesen und stattdessen heftige Vorwürfe gegen London gerichtet.

Der 66-jährige Sergej Skripal und seine 33-jährige Tochter Julia waren am ersten Sonntag im März auf einer Parkbank in Salisbury kollabiert. Skripal ist ein ehemaliger Mitarbeiter des russischen Militärgeheimdienstes, der 2006 wegen Spionage für die Briten in Moskau zu 13 Jahren Haft verurteilt worden war. Schon vier Jahre später kam er im größten Agententausch seit dem Ende des Kalten Krieges frei und durfte sich in Südengland niederlassen.

Das Echo des Kalten Krieges wurde in den vergangenen Wochen zu einem Donnerhall. Nachdem britische Untersuchungen ergaben, dass die Skripals mit dem Nervengas Nowitschok angegriffen worden waren, ging die Londoner Regierung in die Offensive. Premierministerin Theresa May erklärte, eine Verwicklung Russlands in den Anschlag sei „höchst wahrscheinlich“. Außenminister Johnson wagte sich noch weiter vor, verglich Putin-Russland mit Hitler-Deutschland und veröffentlichte erst am Wochenende einen Artikel, in dem er schrieb: „Es gibt nur eine Schlussfolgerung: Nur der russische Staat hat die Mittel, das Motiv und die Geschichte, ein derartiges Verbrechen zu begehen.“

„Wir wünschen Julia alles Gute“

Den britischen Sanktionen schlossen sich 28 Staaten an, mehr als 100 russische Botschaftsmitarbeiter wurden ausgewiesen. Moskau schlug mit gleichen Mitteln zurück. Britische Experten sprachen von einem „staatlichen Akteur“ und wiesen auf Russland, konnten aber nicht den exakten Herstellungsort des Gifts ermitteln. Dafür soll der britische Geheimdienst eine kodierte russische Nachricht aufgeschnappt haben, die lautete: „Das Paket wurde zugestellt.“

Im Gegensatz zu ihrem Vater lebte Julia Skripal in den letzten Jahren wieder in Moskau, besuchte aber Großbritannien regelmäßig. Die behandelnde Ärztin, Christine Blanshard, erklärte gestern: „Wir wünschen Julia alles Gute. Das ist nicht das Ende ihrer Behandlung, aber sie hat einen Wendepunkt überschritten.“ Auch ihr Vater mache „gute Fortschritte“ und werde „zu einem gegebenen Zeitpunkt entlassen werden können.“

Über den künftigen Verbleib der Skripals wurde Geheimhaltung verhängt. In britischen Zeitungen wurde spekuliert, dass Vater und Tochter unter einer neuen Identität in die USA gebracht werden könnten. Aus Moskau meldet sich hingegen eine Cousine zu Wort und forderte Julia zur Heimkehr auf. Die Skripals dürften über den Berg sein – der Propagandakrieg ist noch längst nicht vorbei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.04.2018)

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