Der Kreml verurteilt den nächtlichen Luftschlag in Syrien als »amerikanische Aggression«, verzichtet jedoch auf einen Gegenschlag. Man versteht den Einsatz als Machtdemonstration Washingtons ohne konkrete Folgen.
Nach den Raketenangriffen der Vereinigten Staaten, Frankreichs und Großbritanniens von Samstagfrüh musste der Kreml ein Kunststück an politischer Kommunikation vollbringen: glaubwürdig und für alle Welt hörbar seine Entrüstung über die „amerikanische Aggression“ ausdrücken, ohne es mit den Drohgebärden über den äußerst begrenzten Schlag zu übertreiben. So flimmerten gestern in Dauerschleife Bilder von den Orten des Geschehens in Syrien über die russischen Fernsehschirme – allein, besonders dramatisch waren sie nicht: ein paar Bombentrichter und verbranntes Material.
Der Kreml verlangte eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats und geißelte den Angriff auf einen souveränen Staat. Niemand dürfe „die Sicherheit in der Region bedrohen, die bereits durch die kriminellen Abenteuer der USA und ihrer Verbündeten im Irak und in Libyen stark destabilisiert ist“, hieß es aus dem Außenministerium. Auch das russische Verteidigungsministerium beurteilte den Raketenangriff als Versuch, den Kampf gegen den internationalen Terrorismus zu stören. „Die USA ziehen die Welt in den Krieg, man muss sie stoppen“, setzte Parlamentssprecher Wjatscheslaw Wolodin eins drauf. Das alles sind Signale an das heimische Publikum, dem man die Intervention Moskaus in Syrien als Einsatz für den Weltfrieden verkauft.
Doch abseits der Medienbühne herrschte Zurückhaltung. Es ist davon auszugehen, dass es Absprachen zwischen Washington und Moskau gab. Darauf deutete etwa eine Videoerklärung des amerikanischen Botschafters in Russland, John Huntsman, hin. Die USA hätten vor den nächtlichen Angriffen die Russische Föderation informiert, um „jegliche russischen oder zivilen Opfer“ zu vermeiden, sagte der Diplomat. „Alle Ziele waren mit dem illegalen Chemiewaffenprogramm Assads verbunden.“ Die Aktion in Syrien sei „kein Konflikt der Supermächte“, sondern eine Reaktion auf den inakzeptablen Einsatz chemischer Waffen.
Viele Raketen abgefangen. Tatsächlich sind laut russischen Militärangaben keine Todesopfer zu beklagen. Das Militär präsentierte bei einem Briefing am Samstag leidenschaftslos die Resultate. Glaubt man den russischen Angaben, dann wurden von 103 abgefeuerten 71 Raketen abgefangen – vom syrischen Luftüberwachungssystem, das noch aus Sowjetzeiten stammt. Auch in Syrien schien der Alltag weiter seinen Lauf zu nehmen. Auch die Experten der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) setzen ihre Mission zur Untersuchung des mutmaßlichen Giftgasangriffs vom 7. April fort.
Moskau hält indes weiter an seiner Sicht der Dinge fest, dass das Assad-Regime über keine Chemiewaffen verfüge. Da es noch keine gesicherten Erkenntnisse internationaler Experten in dem Fall gibt, ist es für Russland und seine Unterstützer ein Leichtes, die westlichen Vorwürfe als Fantastereien abzutun. Parallel dazu wurden in den Medien Meldungen gestreut, wonach syrische Regierungskräfte in einer Siedlung in Ost-Ghouta ein Chemiewaffenlabor der Rebellen ausgehoben hätten. Schon am Freitag hatte Moskau die westlichen Geheimdienste beschuldigt, die Giftgasattacke selbst inszeniert zu haben. Eine internationale Verständigung über das, was vor Ort passiert ist, wird im besten Fall die OPCW-Untersuchung bringen können. Doch bis dahin scheint es, als würde sowohl im Kräfteverhältnis in Syrien als auch im verhärteten Ost-West-Konflikt alles beim Alten bleiben.
Machtdemonstration – und nun? Auch russische Experten betonten die Symbolhaftigkeit des Luftangriffs. Der Luftschlag habe „politschen Charakter“, wie Jelena Suponina vom Russischen Institut für Strategische Studien gegenüber dem Fernsehsender Rossija 24 sagte. Die USA hätten keine Syrien-Strategie; Trump, der von einem „perfekt durchgeführten Luftschlag“ sprach, sei unvorhersehbar – aber das sei man ja mittlerweile gewohnt.
Auch Iwan Konwalow vom Kreml-nahen Zentrum Strategischer Konjunktur sprach von einer „Machtdemonstration“ der Amerikaner und ihrer europäischen Verbündeten. „Es war ein beschränkter Schlag, nur um zu zeigen: Wir lassen uns das nicht gefallen.“ Moskaus Vizeaußenminister, Anatolij Rjabkow, erklärte indes, Moskau sei mit den Angreiferstaaten weiterhin in Kontakt.