Syrien: Anatomie eines Militärschlags

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TOPSHOT-SYRIA-CONFLICT-STRIKESAPA/AFP/LOUAI BESHARA
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Präsident Trump machte seine Drohung wahr: Die USA und Alliierte griffen wegen der Giftgasattacke in Duma Ziele in Syrien an. Eine deutliche Botschaft an Assad – mit Rücksicht auf Moskau.

Es war Freitag gegen 21 Uhr an der US-Ostküste, früher Samstagmorgen in Wien, als erste Meldungen eines Militärschlages gegen Syrien auf den Smartphones der Amerikaner aufschienen. Die militärische Spitze hatte sich im Situation Room versammelt, Vizepräsident Mike Pence eilte in Lima während eines Südamerikagipfels ohne Kommentar in sein Hotel zurück. Kurz später trat dann Präsident Donald Trump vor das Mikrofon und unterrichtete die Nation über „präzise Angriffe“ gegen das Chemiewaffenarsenal des syrischen Machthabers Bashar al-Assad. Ein einwöchiges Tauziehen rund um die Antwort auf den mutmaßlichen Einsatz von Chlorgas fand damit einen vorläufigen Höhepunkt.

Im Zentrum der Debatte in Washington stand die Frage, wie aggressiv die USA auf das erneute Überschreiten der „roten Linie“ des syrischen Regimes antworten sollen. Dass ein Militärschlag in irgendeiner Form kommen musste, war bereits zu Wochenbeginn klar gewesen, als sich Trump per Twitter auf „das Tier Assad“ eingeschossen hatte. Es tat sich ein Spalt auf zwischen einem Präsidenten, der schlussendlich auch Russland direkt verbal angriff und Moskau mit der Nachricht „Mach dich bereit“ herausforderte, und einem Verteidigungsminister, der Trump zur Besonnenheit aufrief und eindringlich vor einer direkten Konfrontation mit Russland warnte.

So flogen die USA schließlich gemeinsam mit Großbritannien und Frankreich Angriffe auf mehrere Ziele in Syrien: darunter das Barzah Forschungszentrum nahe Damaskus sowie zwei Bunker nahe Homs, in denen Assad vermutlich unterschiedliche Chemiewaffen gelagert hatte. Dabei wurden 105 Marschflugkörper abgefeuert, wie Kenneth McKenzie, der Sprecher des US-Generalstabs, am Samstag im Pressebriefing erklärte. Zivilisten seien der „äußerst gezielten und professionellen“ Attacke nicht zum Opfer gefallen, wobei ein abschließender Bericht noch ausstehe.

„Kanäle zur Deeskalation.“ Bereits Freitagnacht waren Verteidigungsminister James Mattis und Generalstabschef Joseph Dunford in einer eilig einberufenen Pressekonferenz um Entspannung bemüht gewesen. Man habe „die üblichen Kommunikationskanäle zur Deeskalation“ mit Russland benützt, erklärte Dunford. Soll heißen: Russland sei über geplante Flugrouten informiert worden, um eine direkte Konfrontation zu vermeiden. Zugleich habe man Moskau über den exakten Zeitpunkt und die genauen Ziele des Angriffs im Unklaren gelassen.

So schien es dann auch, dass die einstündige Attacke ohne Komplikationen über die Bühne ging. „Mission Accomplished!“, schrieb Trump am Samstag auf Twitter. Man habe „alle militärischen Ziele erreicht“, erklärte McKenzie. Eine Antwort Russlands oder des Iran sei ausgeblieben, nur Syrien habe 40 Abwehrraketen „wahllos in die Luft geschossen“, dabei aber keine Flugzeuge oder Marschflugkörper getroffen. Syrien und Russland wiederum behaupteten, zahlreiche anfliegende Raketen seien abgeschossen worden.

Mit der Attacke scheinen die militärischen Falken im Weißen Haus sowie das momentan zurückhaltendere Pentagon einen Mittelweg gefunden zu haben, der für alle Seiten akzeptabel ist. Man könnte fast sagen, Donald Trump hat Fingerspitzengefühl bewiesen. So hob man einerseits den deutlich größeren Umfang der Militärschläge im Vergleich zu 2017 hervor. Damals attackierten die USA im Alleingang einen Militärflughafen. Diesmal beteiligten sich mit Frankreich und Großbritannien zwei weitere Großmächte, es wurden knapp doppelt so viele Raketen abgefeuert. Großbritannien setzte vier Tornado-Bomber ein, die von Zypern aufstiegen und jeweils zwei Storm-Shadow-Marschflugkörper abfeuerten. Eine französische Fregatte verschoss bis zu 16 Marschflugkörper. Zudem waren französische Rafale-Jagdbomber im Einsatz.

Gelöst ist der Konflikt im geopolitischen Brandherd Syrien auch nach der westlichen Attacke keineswegs. Zwar habe man Assads Bemühungen rund um die Anhäufung von Chemiewaffen „um Jahre zurückversetzt“, aber von einer völligen Vernichtung des Arsenals wollten die USA nicht sprechen. Assad sitzt dank russischer Rückendeckung weiterhin fest im Sattel und die Alliierten hoben hervor, dass man daran auch nichts ändern wolle. Was also, wenn der Diktator neuerlich Trumps klar definierte rote Linie überschreitet und Chemiewaffen einsetzt?

Dieses Horrorszenario will man sich in den USA nicht ausmalen und Trump appelliert an Putin, Assad im Zaum zu halten. „Russland muss sich entscheiden, ob es weiterhin den dunklen Pfad gehen will, oder ob es sich als Kraft für Stabilität und Frieden auf die Seite der zivilisierten Nationen schlagen will“, sagte Trump in seiner Rede an die US-Bürger. „Hoffentlich kommen wir eines Tages mit Russland aus, und vielleicht sogar mit dem Iran. Vielleicht aber auch nicht.“

„Rote Linie“ bleibt bestehen. Trump hat angekündigt, an seinem vor zwei Wochen verkündeten Plan zum Abzug aus Syrien festzuhalten. Derzeit sind noch rund 2000 US-Soldaten in dem Land stationiert. „Amerika strebt unter keinen Umständen nach einer unbegrenzten Präsenz in Syrien“, sagte der Präsident. Seine „rote Linie“ bleibe jedoch bestehen, selbst wenn sich die USA am Boden zurückziehen. Sollte Assad abermals Giftgas einsetzen, hätte Trump wohl keine andere Wahl, als erneut militärisch zu reagieren.

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