Alle drei Favoriten für den Posten des Premiers sind Schiiten, einer ist dem Iran besonders treu ergeben.
Tunis/Bagdad. Selbst der Regierungschef verbreitet dieser Tage gute Laune. Demonstrativ ließ Haidar al-Abadi sich in Bagdad filmen, wie er am Steuer eines ungepanzerten Autos durch die abendliche Hauptstadt fuhr, um dann zu Fuß und mit offenem Hemd in dem populären Restaurant Waraq al-Nana zu Abend zu essen. Im 400 Kilometer entfernten Mossul feierten die Menschen erstmals seit dem Sturz Saddam Husseins 2003 wieder ihr traditionelles Frühlingsfest. Die ganze Stadt war mit irakischen Fahnen geschmückt, Schulmädchen putzten sich in roten und grünen Blumenkleidern heraus.
Die Bevölkerung des Irak schöpft wieder Hoffnung, auch wenn ihre Heimat immer noch randvoll ist mit Waffen, Groll und Rachedurst. Der sogenannte Islamische Staat (IS) ist besiegt, die Zahl der schweren Attentate spürbar gesunken.
Doch die Spannungen zwischen Schiiten, Sunniten und Kurden köcheln weiter. Viele Städte in den sunnitischen Gebieten liegen in Trümmern, vor allem in Mossul. Der Wiederaufbau kostet mehr als 100 Milliarden Dollar und wird Jahrzehnte dauern. Hunderttausende vegetieren in Flüchtlingslagern, weil sie das Dach über dem Kopf verloren haben. Auch das Verhältnis der Zentralregierung in Bagdad zu den Kurden im Nordirak ist nach dem gescheiterten Referendum 2017 strapaziert.
Am Samstag sind 24,5 Millionen Iraker aufgerufen, ein neues nationales Parlament zu wählen, das erste nach der dreijährigen Katastrophe des IS-„Kalifats“, dessen Krieger zeitweise bis vor den Toren Bagdads standen. Mehr als 7000 Kandidaten bewerben sich um die 329 Sitze, ein knappes Drittel sind Frauen. Neue Gesichter in der politischen Klasse jedoch gibt es kaum. Die alte Garde hält das Heft weiterhin fest in der Hand. Alle drei Favoriten für den Posten des Regierungschefs sind Schiiten, jeder von ihnen deutlich über 60 Jahre alt.
Abadi half der Armee auf die Beine
Die besten Siegeschancen werden dem „Retter der Nation“, dem amtierenden Regierungschef, Haidar al-Abadi, eingeräumt, auch wenn es für eine absolute Mehrheit seiner „Sieges-Koalition“ nicht reichen dürfte. Ihm rechnet die Bevölkerung hoch an, dass er die irakische Armee wieder auf die Beine stellte und so den Islamischen Staat vertreiben konnte. Der 66-Jährige, der 2014 ins Amt gekommen ist, gilt als moderat und ausgleichend. Im spannungsgeladenen Dreieck zwischen dem Iran, den USA und den arabischen Nachbarn wusste er geschickt zu agieren, ohne jemanden vor den Kopf zu stoßen.
Milizen-Chef mit Kontakten zu Teheran
Seine beiden Konkurrenten dagegen sind Scharfmacher. Nouri al-Maliki, der den Irak acht Jahre regierte, brockte der Nation das IS-Desaster ein und zieht bis heute als Vizepräsident im Hintergrund die Fäden. Er steht an der Spitze der Allianz Rechtsstaat und hat bis heute nicht verwunden, dass Abadi ihm vor vier Jahren das Premierministeramt entriss.
Hadi al-Amiri wiederum ist der Chef der berüchtigten Hashd-al-Shaabi-Milizen und pflegt enge Beziehungen zu Teheran. Seine schiitischen Kampftruppen trugen eine Hauptlast bei den Kämpfen gegen den IS, ließen sich aber auch schwere Verbrechen an der sunnitischen Minderheit zuschulden kommen.
Kein Wunder, dass nicht nur Sunniten des Irak, sondern auch Europa und die USA die „Eroberungsallianz“ Amiris mit Argwohn betrachten. Denn sollte der 64-Jährige Regierungschef werden, könnte die sunnitische Volksgruppe im Irak erneut auf die Barrikaden gehen und Teheran in Bagdad noch einflussreicher werden als bisher.
„Ihr seid alle Diebe!“
Und so mischen sich bei der Bevölkerung in die vorsichtige Zuversicht auch weiterhin Skepsis und Frustration. Viele Bürger haben kein Vertrauen in ihre politische Klasse. Bei Transparency International, das die gefühlte Korruption abfragt, rangiert der Irak auf dem 169. von 180 Plätzen. Vor allem die Vergabe der Ministerien nach Parteienproporz macht diese Staatsinstanzen zu undurchdringlichen Hochburgen der Korruption. Als Politiker kürzlich in der heiligen Stadt Najaf feierlich das neue Fußballstadion einweihen wollten, empfingen die Fans sie mit einem gellenden Pfeifkonzert. „Ihr seid alle Diebe“, skandierte die Menge, bis alle Redner schließlich den Rasen räumten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.05.2018)