Klassenausflug nach Brüssel

„Klassenfoto“ der Regierung mit Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (vorn, 2. v. r.) und einigen Kommissaren.
„Klassenfoto“ der Regierung mit Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (vorn, 2. v. r.) und einigen Kommissaren. (c) APA/AFP/JOHN THYS (JOHN THYS)
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Die Bundesregierung flog geschlossen zu einem Ministerrat nach Brüssel. Und nein: Einen „designated survivor“ gab es nicht.

Brüssel. Es erinnerte ein wenig an eine Schulexkursion, wenn die Kinder aus den Bundesländern nach Wien fahren, um die Hauptstadt kennenzulernen. Nur halt ein paar Nummern größer.

Die Bundesregierung reiste also am gestrigen Mittwoch geschlossen in die europäische Hauptstadt nach Brüssel, um zum ersten Mal einen Ministerrat im Ausland abzuhalten. Ein symbolischer Akt in Vorbereitung der Ratspräsidentschaft, die am 1. Juli beginnt, aber auch „eine Chance für die ganze Regierung, die ganze EU-Kommission kennenzulernen“ und Themenschwerpunkte festzulegen, wie ein Pressesprecher erklärte.

Der Tag beginnt früh: 6.15 Uhr, die ersten Regierungsmitglieder treffen auf dem Flughafen Wien-Schwechat ein. „Wir sind heute gern früh aufgestanden, um nach Brüssel zu reisen, weil die Ratspräsidentschaft eine große Ehre für uns ist“, wird Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) später bei einer Pressekonferenz in Brüssel sagen. „Gern früh aufgestanden“ gilt sicherlich nicht für alle, wenn man die roten Augen mancher Minister sieht.

Flug mit Verspätung

Beim Gate F16 finden sich nach und nach die Regierungsmitglieder mit ihrer Entourage ein – völlig unbeachtet von den anderen Passagieren. Wer mit der 7.10-Uhr-Maschine nach Brüssel fliegt, macht dort nicht unbedingt einen gemütlichen Städteurlaub. Es sind Beamte bei der Arbeit, die ihre Chefs ohnehin dauernd sehen. Nur vom gegenüberliegenden Gate kommen Menschen herüber und machen Fotos. „Sind wirklich alle da?“, fragt eine Dame ungläubig.

Ja, und auf diese Antwort folgt stets eine ganz wesentliche Frage: Was passiert, wenn das Flugzeug abstürzt? Wer ist der „designated survivor“, wie man ihn aus US-TV-Serien kennt, der gut bewacht an einem sicheren Ort bleibt und damit die Kontinuität der Regierung sicherstellt?

Es gibt keinen. Aber immerhin reisen drei Minister aus anderen Städten an: Herbert Kickl (Inneres), Mario Kunasek (Verteidigung) und Josef Moser (Justiz). Die Bundesregierung wäre also im Fall der Fälle fest in der Hand der FPÖ.

Die Minister fliegen, begleitet von einem Tross von Journalisten, natürlich Economy. Ganz hinten im Airbus sitzt Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP), Kurz sitzt neben Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) ebenfalls im hinteren Drittel – nur Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ) wurde offenbar von niemandem vorher informiert. Er sitzt ganz allein in der zweiten Reihe der Businessclass.

Der Flug der AUA beginnt – so wie immer mehr Flüge – mit Verspätung. In diesem Fall gleich um 40 Minuten, weil es Probleme auf dem Flughafen in Brüssel gebe. Das ist vielleicht ein bisschen mehr Erfahrung der Schwierigkeiten einfacher Reisender, als der Regierung lieb ist, weil der Tag in Brüssel auf die Minute durchgetaktet ist. Und was man bei der AUA verliert, muss man später irgendwo einsparen.

„Gruppe eins mir nach!“

In Brüssel geht es volksnah weiter. „Gruppe eins mir nach!“, ruft nach der Landung freudig Österreichs EU-Botschafter, Nikolaus Marschik, und hält eine Aktenmappe in die Höhe. Man nimmt zwar nicht die öffentlichen Verkehrsmittel für die Fahrt in die Stadt, der Kanzler ignoriert aber den bereitgestellten Mercedes und steigt zu den anderen Regierungsmitgliedern in einen Bus. Wer ganz hinten sitzen musste, konnte leider nicht eruiert werden. Vermutlich wieder der Finanzminister.

Angekommen ist man in der Hölle. Alle Mitarbeiter der Ständigen Vertretung Österreichs in Brüssel drängen sich im ersten Stock in einen Saal, um die Regierung zu begrüßen, entsprechend sind die Temperaturen. Und dann muss man am Ziel des Ausflugs auch noch auf den „Klassensprecher“ warten. Sebastian Kurz hat irgendwo eine Besprechung, im Saal werden währenddessen Hemden durchgeschwitzt. Als er endlich kommt, lauscht man respektvoll seinen Ausführungen – „Ich möchte Ihnen bzw. euch Danke sagen für die Arbeit“ –, beklatscht aber heftig Strache, als dieser anspricht, was alle denken: „Man kommt hier um bei diesen Saunatemperaturen. Gibt's eine Terrasse?“

Juncker lobt Österreich

Sie gibt es tatsächlich. „Ah, frische Luft, angenehm hier“, sagt Unterrichtsminister Heinz Faßmann (ÖVP), bevor er mit einem Seitenblick scherzend hinzufügt: „Bis auf die Raucher.“ Nebenan steht Strache und zündet sich gerade die zweite Zigarette an.

Die Flugverspätung – ja, ihr fällt der Ministerrat weitgehend zum Opfer. Den man ohnehin nicht so nennen will, weil der Verfassungsdienst Bedenken angemeldet hat. Eigentlich dürfen die Obersten Organe nur im Inland tagen. Man nennt es also „informelles Treffen der Bundesregierung“. Es dauert knapp 15 Minuten, weil danach schon Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wartet und das gemeinsame Mittagessen mit dem Kollegium der EU-Kommission kalt zu werden droht.

Knapp sieben Stunden nach der Ankunft ist der Ausflug auch schon wieder vorbei. Was bleibt vom Tag? Ein guter Eindruck, wie Juncker feststellt. „Ich hatte schon viele Treffen, aber das war besonders erfreulich.“ Und eine Erkenntnis: „Der (gemeint ist Kurz, Anm.) ist ja schon öfter in Brüssel als ich.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2018)

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