Flüchtlingskrise

Ende der Odyssee: Die Aquarius geht in Valencia vor Anker

Helfer warteten im Hafen von Valencia auf die Passagiere des Rettungsschiffs Aquarius.
Helfer warteten im Hafen von Valencia auf die Passagiere des Rettungsschiffs Aquarius.(c) imago/Le Pictorium (Pierre Berthuel / Le Pictorium)
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Von Italien abgewiesenes Rettungsschiff mit 630 Menschen erreicht sicheren Hafen in Spanien.

Valencia. Gegen 10.30 Uhr am Sonntagmorgen kommt endlich der rot-orange Rumpf des humanitären Rettungsschiffs Aquarius in Sicht. Langsam schiebt sich der 77 Meter lange Kahn mit den weißen Deckaufbauten in den Hafen Valencias, wo es an der Mole Nummer eins festmacht. Man sieht winkende Menschen hinter der Bordwand. Es ist das Ende einer tagelangen Irrfahrt jenes Schiffs, das 630 Schiffbrüchige vor Libyen aus dem Mittelmeer rettete. Und das dann zum Symbol der Verwerfungen in der europäischen Migrationspolitik wurde (siehe Seite 1).

Rund 250 Kilometer vor Valencia, als die spanische Insel Mallorca in Sicht kommt, bricht erstmals Jubel an Bord aus. Viele recken die Arme in die Höhe. Einige tanzen, wie man auf Bildern sah, die später von den Hilfsorganisationen Ärzte ohne Grenzen und SOS Méditerranée an Land gefunkt wurden. Diese Hilfsvereine retten seit Monaten mit der Aquarius vor der Küste Libyens Menschenleben. Aber noch nie mussten sie zehn Tage über das Mittelmeer irren, um aus dem Wasser gefischte Migranten in einen sicheren Hafen zu bringen.

Vergangene Woche wurde die Aquarius zum Spielball der Politik – und zum Opfer der italienischen Regierungskoalition aus der rechtspopulistischen Lega und der linkspopulistischen Fünf-Sterne-Bewegung. Die neue Regierung will private Rettungsschiffe aus dem zentralen Mittelmeer vertreiben und sperrte die Häfen des Landes – woraufhin sich Spaniens neue Sozialistenregierung bereit erklärte, die Menschen in Valencia an Land gehen zu lassen.

Ein großes weißes Begrüßungsplakat flattert im Hafen: „Willkommen“, steht darauf in mehreren Sprachen. Die Aquarius kam im Konvoi mit zwei italienischen Küstenwacht- und Marineschiffen, der Dattilo und der Orione. Aus Sicherheitsgründen waren die 630 Geretteten vor der Fahrt nach Spanien auf drei Schiffe verteilt worden. Gegen Mittag klettern die ersten Geretteten herunter auf die Kaimauer. Die meisten sind Afrikaner aus den Krisen- und Armutsländern südlich der Sahara. Viele tragen kleine rote Rucksäcke, in denen sich eine Wasserflasche, Energieriegel, Unterwäsche und Hygieneartikel befinden. Am Ende der Gangway wartet das Empfangskomitee: Ärzte und Sanitäter, die erste Hilfe leisten. Polizisten, die Fingerabdrücke nehmen und Personalien feststellen. Rechtsanwälte, die den Schiffbrüchigen ihre Rechte erklären: Alle Angekommenen erhalten zwar zunächst ein 45-tägiges Aufenthaltsrecht in Spanien – doch alles Weitere ist ungewiss, auch die Abschiebung ist möglich. „Sie werden so behandelt wie alle Migranten, die bei uns eintreffen“, sagte Innenminister Fernando Grande-Marlaska.

Restriktive Asylpraxis

Die Praxis in Spanien war bisher, dass nur wenige Immigranten Asyl erhielten. Weswegen viele der in Spanien Landenden es bevorzugten, sich weiter in Richtung Frankreich oder auch Deutschland durchzuschlagen. Spaniens neue Regierung hat eine menschlichere Migrationspolitik versprochen. Die Regierung in Paris bot am Wochenende an, einige dieser Menschen aufzunehmen.

Im Jahr 2017 kamen 29.000 Immigranten über das Mittelmeer nach Spanien oder in die spanischen Nordafrika-Exklaven Ceuta und Melilla. Nur rund 600 Asylanträge wurden genehmigt. Etwa 4000 Menschen erhielten subsidiären Schutz – ein befristeter Aufenthaltsstatus für Personen, die durch Rückführung in die Heimat gefährdet würden. Derweil wurden Zigtausende abgeschoben: In 2016 waren es 9200, für 2017 sind keine Zahlen bekannt; vor allem Nordafrikaner werden deportiert.

Dass es in Rom in absehbarer Zeit zu einem Umdenken kommen könnte, ist nicht zu erwarten. „Zum ersten Mal landet ein von Libyen abgefahrenes Schiff mit Migranten nicht in Italien. Das ist ein Zeichen, dass sich etwas ändert. Wir sind nicht mehr die Fußabstreifer Europas“, kommentierte Innenminister und Lega-Chef Matteo Salvini das Einlaufen der Aquarius in Valencia, während Verkehrsminister Danilo Toninelli, der für die Häfen des Landes zuständig ist, am Sonntag von einer „neuen Phase der europäischen Solidarität“ sprach.

Salvini bekräftigte am Wochenende, dass Hilfsorganisationen in Italien nicht mehr willkommen seien: „Wir sind die Herren in unserem eigenen Haus.“ Die Retter lassen sich von diesen Drohungen nicht abschrecken: Man müsse „menschliche und solidarische Lösungen“ für das Drama im Mittelmeer finden, sagte in Valencia der Spanien-Chef von Ärzte ohne Grenzen, David Noguera. Die Aquarius werde ihre Mission fortsetzen. Noguera: „Die Blockade besorgt uns sehr, aber wir glauben, dass es kein Delikt ist, Menschenleben zu retten.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2018)

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