Asyl: Merkel gewinnt – aber nur Zeit

Am Montagnachmittag musste man sich entscheiden: Berlin oder München? CDU oder CSU? Angela Merkel oder Horst Seehofer?
Am Montagnachmittag musste man sich entscheiden: Berlin oder München? CDU oder CSU? Angela Merkel oder Horst Seehofer? (c) REUTERS (HANNIBAL HANSCHKE)
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Die deutsche Kanzlerin will keine Alleingänge an der Grenze und droht der CSU.

Berlin. Am Montagnachmittag musste man sich entscheiden: Berlin oder München? CDU oder CSU? Angela Merkel oder Horst Seehofer? Die Bundeskanzlerin und der Innenminister traten nach den Sitzungen ihrer Parteien beinahe zeitgleich auf. Das war nicht schlechte Planung, sondern ein Kampf um die öffentliche Aufmerksamkeit.

Ein anderes Duell zwischen den beiden war zu diesem Zeitpunkt schon entschieden, zumindest vorerst. Der Punkt ging an Merkel: Im Streit mit den Christsozialen, ob man Flüchtlinge direkt an der Grenze abweisen sollte, will die Bundeskanzlerin mit anderen europäischen Ländern verhandeln. „Wir werden nicht unilateral, nicht unabgesprochen und nicht zulasten Dritter agieren“, sagte sie. Das war eine klare Absage an Seehofer und sein Ultimatum: Die CSU wollte am Montag die Zustimmung Merkels für ihre Asylpläne erhalten. Sie bekam sie nicht. Der Konflikt in der Union ist damit aber nicht geklärt. Die nächste Eskalation wird nur um zwei Wochen verschoben – und Merkel übernimmt die volle Verantwortung für die weiteren Vorgänge: Ende Juni findet ein EU-Gipfel statt. Dort will die Kanzlerin vor allem mit Ländern wie Griechenland und Italien Gespräche führen, eine Allianz der Freiwilligen gründen. Gehen sie mit Deutschland einen Deal ein, sollen Asylwerber, die laut Dublin-Verordnung nicht weiterreisen dürfen, an der deutschen Grenze abgewiesen werden. Im Gegenzug würden die EU-Partner aber sicher auch etwas verlangen, meint Merkel. Zum Beispiel Geld.

Erster Gesprächstermin mit Conte

Die Verhandlungen dürften also nicht leicht werden. Das gab auch Merkel zu bedenken: „Wer Europa kennt, weiß, dass mich das unter Verhandlungsdruck setzt.“ Immerhin ist man auf internationaler Ebene nicht unbedingt für schnelle Einigungen bekannt.

Ihre Chancen konnte Merkel allerdings schon am Montagabend ausloten: Als Gast im Bundeskanzleramt wurde der neue italienische Premierminister Giuseppe Conte erwartet. Möglicherweise glaubt Merkel selbst nicht daran, dass Rom und Athen zustimmen. Also spannte sie sich selbst ein Sicherheitsnetz: Nach dem EU-Gipfel werde sie sich mit dem CDU-Gremium beraten – und zwar nur mit der CDU. Erst nachher würde man die CSU einbinden. „Einen Automatismus“, auf eigene Faust an der Grenze aktiv zu werden, gebe es nicht. Dann sagte Merkel etwas, das sie oder Seehofer das Amt kosten könnte: Sollte der Innenminister unabgesprochen handeln, sei dies ein „Verstoß gegen die Richtlinienkompetenz“. Frei übersetzt: Dann würde er seinen Job verlieren.

Trump kritisiert Merkel

Seehofer selbst hatte die Drohung nicht gehört, er gab ja währenddessen seine eigene Erklärung ab. Er wollte auch gar nichts davon wissen: „Mir gegenüber hat sie mit der Richtlinienkompetenz nicht gewedelt. Das wäre auch unüblich zwischen zwei Parteivorsitzenden“, sagte er. Die Polizei könne bereits mit den ersten Vorkehrungen beginnen: Ab sofort sollen Menschen mit Aufenthaltsverbot abgewiesen werden. Auch die Einreisesperre für weitere Flüchtlinge werde vorbereitet. Dafür erhielt er transatlantische Unterstützung: US-Präsident Donald Trump kritisierte die Entscheidung Merkels: „Die Menschen in Deutschland wenden sich gegen ihre Führung“, schrieb er auf Twitter.

Auch Seehofer sprach indirekt eine Drohung aus: Es gehe „nur vordergründig“ um diese zwei Wochen Zeit – „in der Substanz“ müsse man Grundlegendes klären. In Berlin gab man ihm recht. In dieser Frage ging der Punkt an Seehofer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2018)

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