Machtprobe im Flüchtlingsstreit

Die Einrichtung von Asylzentren in Nordafrika soll verhindern, dass weiterhin tausende Migranten über das Mittelmeer nach Südeuropa drängen.
Die Einrichtung von Asylzentren in Nordafrika soll verhindern, dass weiterhin tausende Migranten über das Mittelmeer nach Südeuropa drängen. (c) REUTERS (GUGLIELMO MANGIAPANE)
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Am Sonntag treffen sieben Staats- und Regierungschefs, darunter Sebastian Kurz, in Brüssel zusammen. Doch die Fronten bei der Bewältigung der Migrationskrise sind verhärteter denn je.

Wien/Brüssel. In der europäischen Flüchtlingskrise kommt es in diesen Tagen zur finalen Machtprobe. Weil die Gefahr zu groß ist, dass beim regulären Europäischen Rat am Donnerstag und Freitag kommender Woche keine Einigung in der völlig verfahrenen Debatte zustande kommt, soll ein Sondergipfel am kommenden Sonntag die ersten Hürden aus dem Weg räumen. Doch schon im Vorfeld dämpfen Teilnehmer die Erwartungen an das Treffen – zu tief sind die Gräben zwischen den betroffenen Mitgliedstaaten. So betonte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) neuerlich die Notwendigkeit, gemeinsam Fortschritte zu erzielen – tadelte aber gleichzeitig in scharfem Ton die Flüchtlingspolitik der deutschen Kanzlerin, Angela Merkel (CDU): Jene, die im Jahr 2015 die Grenzen geöffnet haben, „haben es verschuldet, dass es heute Grenzkontrollen gibt“, so Kurz am gestrigen Mittwoch im Vorfeld eines Treffens mit dem bayerischen Innenminister Markus Söder (CSU) – selbst einer der schärfsten Kritiker Merkels.

An dem Sondergipfel teilnehmen wird eine kleine, aber auserlesene Runde: Neben dem Gastgeber, Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, sind dies Merkel und Kurz sowie die Regierungen aus Italien, Spanien, Griechenland und Bulgarien – allesamt von der Flüchtlingskrise stark betroffene Länder. Auch Emmanuel Macron hat sich angesagt. Der französische Präsident hat gerade eine diplomatische Krise mit dem Nachbarland Italien überwunden, dem er wegen der Abweisung eines Flüchtlingsschiffs „Verantwortungslosigkeit“ vorgeworfen hatte.
Nicht die besten Voraussetzungen für eine Einigung also. Zu allem Übel herrscht auch zwischen Rat und EU-Kommission dicke Luft: Ratspräsident Donald Tusk sieht das Sondertreffen am Sonntag skeptisch. Er hatte Berlin den Wunsch ausgeschlagen, einen Minigipfel zu organisieren und wird bei den Beratungen am Sonntag wohl auch nicht dabei sein. Stattdessen lud eben Juncker nach Brüssel ein.

Keine „Sekundärmigration“ mehr

Ein neuer Plan des Polen Tusk – der wiederum Juncker gegen den Strich geht – dürfte aber sehr wohl auf der Agenda der sieben teilnehmenden Regierungen stehen: Tusk hat die Einrichtung von Flüchtlingszentren in Afrika vorgeschlagen, in die auf dem Mittelmeer aufgegriffene Migranten verbracht werden sollen. In den Zentren soll eine Unterscheidung zwischen Wirtschaftsflüchtlingen und tatsächlich Schutzbedürftigen getroffen werden, heißt es in einem Entwurf für den Gipfel Ende kommender Woche. Die illegale Einwanderung müsse „auf allen Routen reduziert“ werden. Der Vorschlag hat Aussicht auf breite Zustimmung bei den Mitgliedstaaten, zeigten sich doch auch Merkel und Macron bei einem bilateralen Treffen am vergangenen Dienstag der Idee durchaus zugeneigt.

Der Vorschlag wirft allerdings die Frage auf, wohin jene Menschen gebracht werden sollen, deren Schutzbedürftigkeit nachgewiesen wird. Ein EU-internes Verteilungssystem ist bekanntlich an der mangelnden Aufnahmebereitschaft zahlreicher Mitgliedstaaten gescheitert. Die Visegrád-Länder Ungarn, Polen, Tschechien und die Slowakei sind ebenso wie die österreichische Regierung gegen ein verpflichtendes Quotensystem, wie es die EU-Kommission vorgeschlagen hatte. Auch Merkel versucht seit Langem erfolglos, einen gemeinsamen Verteilmechanismus durchzusetzen.

Im Moment hat die Kanzlerin aber ohnehin andere Sorgen. Unionspartner CSU beharrt bekanntlich darauf, Flüchtlinge, die bereits in einem anderen EU-Land registriert wurden, aber entgegen rechtlichen Bestimmungen nach Deutschland weiterreisen, an der Grenze abzuweisen. Die Forderung hat Potenzial, die deutsche Koalition zu sprengen – und Merkels Kanzlerschaft zu beenden. Die CDU-Chefin setzt deshalb auf bilaterale Abkommen zur Beschränkung dieser illegalen Sekundärmigration. Macron hat Merkel bereits zugesagt, in Frankreich registrierte Flüchtlinge aus Deutschland zurücknehmen zu wollen.

Auch mit anderen EU-Ländern will Merkel nun solche Vereinbarungen schließen, um Migranten in jenes Land zurückzuführen, in dem sie bereits um Asyl angesucht haben – und so die CSU doch noch zufriedenzustellen. Diese hatte eine Frist bis zum gemeinsamen Gipfel der EU-28 Ende Juni gesetzt – sonst will Innenminister Horst Seehofer (CSU) damit beginnen, Migranten einseitig die Einreise zu verwehren, was freilich auch für Österreich drastische Auswirkungen hätte. Völlig unsicher bleibt jedoch weiterhin die Frage, welche Mitgliedstaaten außer Frankreich in der Sache mit Merkel überhaupt kooperieren und registrierte Flüchtlinge zurücknehmen wollen. Auch das gilt es nun am kommenden Sonntag zu erörtern.

Weitere Infos:www.diepresse.com/europa

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2018)

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