Unionsstreit: Die Front liegt zwischen Bayern und Hessen

Angela Merkel und Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier.
Angela Merkel und Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier.(c) APA/AFP/TOBIAS SCHWARZ
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Die CSU in München braucht das Drama, die CDU in Wiesbaden Ruhe: Beide Parteien haben im Oktober Wahlen zu schlagen – und völlig unterschiedliche Strategien.

Berlin. Am Mittwochabend vor zwei Wochen, als es noch so schien, als wäre die Regierungskrise vermeidbar, lud Bundeskanzlerin Angela Merkel zwei Ministerpräsidenten in das Bundeskanzleramt. Der eine hatte den Konflikt in der Union provoziert: Bayerns Staatsregierungschef Markus Söder forderte bereits seit Tagen lautstark, Flüchtlinge an der Grenze abzuweisen. Gehört wurde die Ansage in Berlin allerdings erst, als sie sein CSU-Chef und Innenminister Horst Seehofer wiederholte.

Der andere ist ein prominenter Vertreter einer liberaleren Flüchtlingspolitik: Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier sollte in seiner Funktion als CDU-Vizeparteichef Merkels Position unterstützen. Und die ist nach wie vor aufrecht: Deutschland werde erst handeln, wenn andere EU-Länder dem Vorhaben zustimmen.

Söder und Bouffier verbindet im Asylbereich wenig, ansonsten aber erstaunlich viel: Beide haben im Oktober, mit nur zwei Wochen Abstand, eine Landtagswahl zu schlagen. Beide müssen davon ausgehen, dass sie nicht in der jetzigen Konstellation weiterregieren können. Und beide haben eine Schuldige dafür gefunden: die AfD. Zum ersten Mal könnte es in München und Wiesbaden eine ernst zu nehmende Alternative zur CSU und CDU geben.

Im Streit innerhalb der Union gibt es viele Ebenen. Da wären die persönlichen Kränkungen, die sich bei einigen Beteiligten angestaut haben. Der ewige Machtkampf, den Christdemokraten und Christlichsoziale ausfechten wollten. Letztendlich geht es aber auch um grundsätzliche Positionen: In welche Richtung soll sich die Flüchtlingspolitik der Union bewegen, und wie verhindert man den Aufstieg der Alternative für Deutschland?

Die Antwort fällt innerhalb der Union völlig unterschiedlich aus – je nachdem, ob man in München oder Wiesbaden danach fragt. Söder und Bouffier leben den Asylstreit in der Union vor, sie sind die Personifizierung der unterschiedlichen Lager. Das Treffen im Kanzleramt an jenem Mittwochabend wurde nach eineinhalb Stunden beendet. Erfolglos.

Merkel und Söder im Interview

Der Streit soll nun am Sonntag endgültig geklärt werden. Der Zeitplan steht fest, nur das Ergebnis ist völlig offen: Am frühen Nachmittag kommt der CSU-Vorstand in München zusammen, zwei Stunden später trifft sich die CDU in Berlin. Merkel wird im ZDF ein Interview geben, Söder bei „Anne Will“ zu Gast sein. Das Team der ARD-Talkshow unterbricht laut „Bild“ seine Sommerpause.

Bouffier wird im Hauptabendprogramm weniger Aufmerksamkeit bekommen. Das Gute daran, aus seiner Sicht: Er will sie auch nicht. Wenn die Hessische CDU jetzt etwas gut gebrauchen kann, dann ist es vor allem eines – Ruhe. In Wiesbaden versucht man, die AfD an ihrem Aufstieg zu hindern, in dem man nicht an ihr anstreift, sie ignoriert. Auch das Thema Flüchtlinge will man klein halten, man hat andere Probleme, das Wohnen zum Beispiel. In Wiesbaden würde der Vergleich niemandem etwas sagen, aber es ist landespolitisch das Vorarlberg Deutschlands: Die Union koaliert mit den Grünen, ein harter Flüchtlingskurs wäre in der Regierung nicht mehrheitsfähig. Laut Umfragen könnte sich das Bündnis nach der Wahl am 28. Oktober aber nicht mehr ausgehen. Vor fünf Jahren scheiterte die AfD in dem Bundesland noch an der Fünf-Prozent-Hürde – jetzt kommt die rechte Partei laut Umfragen auf bis zu 15 Prozent.

Diese Sorge kann Bouffier mit Söder teilen: Vor fünf Jahren trat die AfD in Bayern nicht an – nun wird ihre Stärke auf rund 13 Prozent geschätzt. Söder will den neuen Gegner aber nicht ignorieren. Der Ministerpräsident will seine absolute Mehrheit aktiv verteidigen. Wenn Söder einen harten Kurs gegen Berlin, die CDU und Merkel fährt, möchte er seinen Wählern signalisieren: Ihr braucht die AfD nicht wählen, wenn ihr einen einen schärferen Flüchtlingskurs wollt. Ich schaffe das.

Söders liebstes (und ein eher unwahrscheinliches) Szenario wäre, wenn die Kanzlerin am Sonntag nachgeben würde. Dann könnte die Polizei in Bayern ab sofort an der Grenze kontrollieren, ohne ein Ende der Bundesregierung zu riskieren. Auch wenn Söder das so nicht sagen würde: Er braucht für einen Wahlsieg eine vereinte Union. Und er braucht auch Merkel. Ein Ende der Zusammenarbeit zwischen CDU und CSU würde auch einen weiteren Konkurrenten in München bedeuten: Bis 2. August hätten die Christdemokraten noch Zeit, eine Kandidatur bei der Landtagswahl einzureichen. Das würde Söder endgültig die Absolute kosten, und er müsste eine Koalition eingehen. Vielleicht sogar mit der CDU.

AUF EINEN BLICK

Zwei Wahlkämpfe. In der Union wird gerade ein persönlicher Machtkampf zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer ausgefochten. Doch der Streit soll auch grundsätzliche Fragen klären: Welche Linie vertritt man in der Flüchtlingspolitik – und wie reagiert man auf den Aufstieg der AfD? In Bayern antwortet man darauf vor allem mit Härte. So soll die absolute Mehrheit am 14. Oktober gesichert werden. Zwei Wochen später wird aber auch in Hessen gewählt. Dort will die CDU dem Thema Asyl so wenig Aufmerksamkeit wie möglich schenken.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2018)

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