Der Tag nach Seehofers Eskalation

Bundeskanzlerin Angela Merkel informierte die Mitglieder der Unionsfraktion Montagnachmittag über den Stand der Dinge. Dieses Mal tagten CDU und CSU wieder gemeinsam.
Bundeskanzlerin Angela Merkel informierte die Mitglieder der Unionsfraktion Montagnachmittag über den Stand der Dinge. Dieses Mal tagten CDU und CSU wieder gemeinsam. (c) APA/AFP/JOHN MACDOUGALL (JOHN MACDOUGALL)
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Geht er? Bleibt er? Wird er gegangen? Alles war nach jener Nacht möglich, in der Seehofer seinen Rücktritt anbot und zurückzog. Was in München geschah.

München/Berlin. Es sollte eine der vielleicht letzten gemeinsamen Sitzungen der Union sein, Angela Merkel würde sich darin erklären, die Fraktionsmitglieder energisch nach einem Ende des Streits fordern. Er selbst wollte noch einmal für einen Kompromiss plädieren. Und dann das: Stau. Horst Seehofer schaffte es nicht rechtzeitig von München nach Berlin. Die erste Besprechung von CSU und CDU am Montagnachmittag fand ohne den Bundesinnenminister statt.

Das wirklich entscheidende Treffen war aber ohnehin erst einige Stunden später angesetzt, am späten Nachmittag im Konrad-Adenauer-Haus. Die Spitzen der beiden Unionsparteien wollten noch einmal über eine Lösung sprechen, ein letztes Mal einen Kompromiss anpeilen. Zuvor wurden Merkel und Seehofer zu einem Vorgespräch zu Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble geladen. Hier durfte der Innenminister nicht zu spät erscheinen. Die Zeit drängte. Für ihn, die Union und die gesamte Bundesregierung.

Was in Berlin an diesem Tag passieren sollte, wusste zu diesem Zeitpunkt nicht einmal Seehofer selbst. Soll er gehen? Kann er bleiben? Wird er gegangen? In der Nacht zuvor hat er seine Meinung schon einmal geändert. Elf Stunden lang, von drei Uhr nachmittags bis zwei Uhr nachts, beriet Seehofer mit seinem Parteivorstand in dem Franz-Josef-Strauß-Haus in München. Am Ende hätte eine Entscheidung stehen sollen, wie die CSU im Streit mit der CDU weiter vorgehen wird. Es kam anders. Die Krise ging in die Verlängerung, wohl ein letztes Mal.

„Sonst wäre das endgültig gewesen“

Das verkündete Seehofer spätabends, als von seinen Mitarbeitern schon lang jede öffentliche Stellungnahme ausgeschlossen wurde. Aber an diesem Sonntag verlief ohnehin nichts nach Plan. „Wir reden morgen noch einmal“, meinte Seehofer vor den Kameras, nachdem er die Vorstandssitzung endgültig beendet hatte. Mit „wir“ waren dieses Mal nicht mehr nur die Christsozialen, sondern die gesamte Union gemeint. „Wir wollen im Interesse dieses Landes einen Einigungsversuch machen, und ich hoffe, dass es gelingt.“

Wie es weitergehe, müsse sich aber endgültig in den kommenden drei Tagen entscheiden. Also bis morgen, Mittwoch – übrigens Seehofers 69. Geburtstag. Scheitert ein Kompromiss, werde er endgültig seinen Rücktritt erklären. „Das ist jetzt ein Entgegenkommen von mir. Sonst wäre das heute endgültig gewesen.“ Seehofer sei in einer Krisensitzung mit der obersten Spitze der CSU überzeugt worden, vorerst doch noch im Amt zu bleiben. Allerdings dürfte man auch darüber gesprochen haben, wer im Ernstfall die Partei übernehmen würde. Und, die viel heiklere Aufgabe: das Bundesinnenministerium.

War die Rücktrittsdrohung nur ein taktisches Manöver, um den Druck auf die Kanzlerin weiter zu erhöhen? Möglich, aber nicht besonders wahrscheinlich. Dafür waren die Teilnehmer der Vorstandssitzung zu schockiert, der Verlauf des Abends zu chaotisch. Am Nachmittag kam ein Teilnehmer noch für eine kurze Pause zu den Journalisten. Ob Seehofer sein Amt aufgeben werde? „Ha!“, da musste das CSU-Mitglied lachen. Nein, das werde auf keinen Fall passieren. Wenige Stunden später gab Seehofer seine persönliche Erklärung ab – und stellte das Ende seiner politischen Karriere in den Raum.

Fraktion will im Ernstfall abstimmen

Am nächsten Tag, als Seehofer noch auf der Autobahn irgendwo zwischen München und Berlin stillstand, entschied die Unionsfraktion gemeinsam: Es soll weitergehen. Ohne Trennung, aber zur Not mit einem anderen Führungspersonal. Man müsse endlich einen Kompromiss finden, hieß es nach dem Treffen im Bundestag. Wenn Seehofer und Merkel nicht dazu in der Lage seien, müsse man eben die Fraktionsmitglieder über den Streitpunkt abstimmen lassen. Heute, Dienstag, ist eine weitere Sitzungsrunde im Parlament vorgesehen.

Dann sollte Seehofers „Masterplan Migration“ endgültig vorliegen – und damit der sachliche Ursprung des Konflikts innerhalb der Union. Am Sonntagnachmittag teilte ihn der Innenminister erstmals aus, allerdings nur unter seinen CSU-Kollegen. Der Punkt, der den Streit zum Eskalieren brachte, war darin noch enthalten: die Forderung, Flüchtlinge an der Grenze abzuweisen, falls sie schon in einem anderen EU-Land registriert wurden. Schon am Samstagabend soll Seehofer bei einem Treffen im Bundeskanzleramt in der Frage ein Stück auf Merkel zugegangen sein. Sie sei hart geblieben, heißt es. 48 Stunden später wollten sie nun endgültig einen Kompromiss finden.

AUF EINEN BLICK

Die letzte Chance im Unionsstreit sollte es sein, dieses Mal aber wirklich: Sonntagnacht zog Innenminister Horst Seehofer sein Angebot, von allen Ämtern zurückzutreten, wieder zurück. Drei Tage gebe er der Bundesregierung noch Zeit, eine Lösung zu finden. Seine Partei, die CSU, wolle einen Kompromiss finden. Auch die CDU sagte zu: Für Montagabend vereinbarten die Spitzen der Unionsparteien ein Krisentreffen im Konrad-Adenauer-Haus, der Zentrale der Christdemokraten. Danach war ein Krisentreffen der gesamten Regierungsparteien vorgesehen: also Union und SPD.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.07.2018)

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