Recep Tayyip Erdoğan legt heute seinen Amtseid ab: Die Türkei wird ab sofort eine Präsidialrepublik. Vorher entließ der Staatschef erneut fast 19.000 Polizisten, Soldaten und Beamte.
Wenn Recep Tayyip Erdoğan an diesem Montag den Amtseid als türkischer Präsident ablegt, beginnt eine neue Ära in der Geschichte der Türkei: Die Zeremonie in Ankara besiegelt das Ende des parlamentarischen Systems und läutet die Epoche der Präsidialrepublik ein. „Eine neue Türkei wird geboren“, jubelte die regierungstreue Zeitung „Star“. Noch am Tag seiner Vereidigung will Erdoğan sein Kabinett vorstellen, das künftig nur ihm verantwortlich ist.
Der 64-jährige Staatschef verspricht seinen Bürgern mehr Effizienz bei der Regierungsarbeit, doch die Opposition beklagt den Beginn einer Ein-Mann-Herrschaft ohne wirksame Kontrollinstanzen. Kritiker sahen sich noch vor der Vereidigung in ihren Befürchtungen bestätigt: Per Erlass entließ die Regierung am Sonntag erneut fast 19.000 Soldaten, Polizisten und Beamte. Seit dem Putschversuch von 2016 sind mehr als 150.000Menschen wegen angeblicher Unterstützung für den Umsturzversuch aus dem Staatsdienst entfernt worden.
Seit Erdoğans Wahlsieg vor zwei Wochen bereitet die Regierung den Übergang auf das neue System vor. So löschte ein Erlass aus rund 5000 Gesetzen die Erwähnung des Ministerpräsidenten, denn dieses Amt wird abgeschafft. Befugnisse des bisherigen Premiers werden auf das Präsidentenamt übertragen. Als Mann an der Spitze ist Erdoğan ab sofort zeremonielles Staatsoberhaupt, Regierungschef, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Chef der Regierungspartei AKP in Personalunion. Er kann per Dekret regieren, Richterposten vergeben und Minister ernennen und entlassen, ohne das Parlament fragen zu müssen.
Erdoğans neue Staatsordnung wird in der Presse mit dem Sonnensystem verglichen: In der Mitte steht der Präsident, um den sich – den Planeten gleich – Berater, Gremien und Institutionen gruppieren. Mindestens drei Vizepräsidenten kümmern sich um die Leitlinien der von Erdoğan festgelegten Politik. Das Kabinett wird von 26 auf 16 Ministerposten verkleinert, um Reibungsverluste zu vermeiden: So sinkt die Zahl der mit der Wirtschaft befassten Ministerien von sechs auf drei. Erdoğan will mehr wirtschaftspolitische Entscheidungen selbst fällen – eine Aussicht, die manche Investoren nervös macht, weil der Präsident beispielsweise die Unabhängigkeit der Zentralbank infrage stellt.
Nebeneinander ohne klare Abgrenzung
Neben den Ministerien existieren neun Beiräte für Bereiche von der Sozial- bis zur Außenpolitik, die Vorschläge ausarbeiten und Berichte erstellen. Acht Direktorate – darunter der Generalstab der Armee, der Geheimdienst und der Nationale Sicherheitsrat – fungieren ebenfalls als Ratgeber und Befehlsempfänger. Außerdem hat Erdoğan noch vier Verwaltungsabteilungen zur Verfügung, die sich unter anderem um Personalangelegenheiten kümmern.
Das Nebeneinander von Vizepräsidenten, Ministerien und Beratungsgremien wirkt auf den ersten Blick verwirrend, zumal bisher keine klare Kompetenzabgrenzung bekannt ist. Ob und wie das neue System funktioniert, wird sich erst in den kommenden Wochen und Monaten zeigen. Grundsätzlich ist Erdoğan aber überzeugt, dass die Präsidialrepublik mit der „Schwerfälligkeit“ des parlamentarischen Systems Schluss machen werde, wie er vor der Wahl gesagt hat. Der Oppositionspolitiker Abdüllatif Sener, ein früherer Erdoğan-Berater, spricht dagegen von einer „Diktatur“.
Unklar ist geblieben, wie der Präsident die Posten in seiner neuen Regierung besetzen will. Laut Presseberichten könnten erfolgreiche Geschäftsleute zu Ministern ernannt werden – eine Bestätigung durch das Parlament ist nicht nötig. Einer der Namen, die genannt werden, ist der von Muhtar Kent, dem früheren Chef des Weltkonzerns Coca-Cola. Die Frage ist aber, ob sich internationale Spitzenunternehmer wie Kent einer Regierung unterordnen wollen, in der allein Erdoğan bestimmt.
Wer wird Außenminister?
Ob Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu im Amt bleibt, ist ebenfalls ungewiss. In der Presse wird Erdoğans bisheriger Sprecher, İbrahim Kalın, als aussichtsreicher Kandidat für das Außenamt genannt. Der 46-jährige Kalın ist ein früherer Berater Erdoğans und Experte für die Beziehungen zwischen der islamischen Welt und dem Westen. Fest steht, dass für den Außenminister gleich nach seiner Ernennung die erste Auslandsreise geplant ist: Der neue Chefdiplomat begleitet Erdoğan am Dienstag bei den traditionellen Antrittsbesuchen nach Aserbaidschan und in den türkischen Teil Zyperns. Am Mittwoch steht der Nato-Gipfel in Brüssel auf dem Programm.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.07.2018)