Nach heftiger Kritik an May trat David Davis zurück. Der Neue ist ebenfalls Brexit-Hardliner. Die entscheidende Frage: Bricht die Rebellion in der Regierung nun vollends aus?
Paukenschlag in London: Der Minister für den Austritt aus der Europäischen Union, David Davis, hat in der Nacht auf Montag seinen Rückzug erklärt. „Die gegenwärtige Richtung, in der wir unterwegs sind, macht ein Ausscheiden aus der Zollunion und dem Binnenmarkt immer unwahrscheinlicher“, erklärte Davis in seinem Rücktrittsschreiben. Premierministerin Theresa May nahm die Demission an.
Der 69-jährige Davis hatte sich im Referendum vor zwei Jahren für den Austritt aus der EU eingesetzt. Nach ihrer Amtsübernahme machte May ihn zum Brexit-Minister. Gemeinsam mit Außenminister Boris Johnson, Handelsminister Liam Fox und Umweltminister Michael Gove bildete er im Kabinett den harten Kern der EU-Gegner. Ungeachtet aller inhaltlichen Fragen (und Differenzen) galt Davis als einer der wenigen wirklichen politischen Vertrauten von May.
Als Nachfolger nominierte May Dominic Raab, einen ausgesprochenen Brexit-Befürworter. Der 44-Jährige, bisher Staatssekretär im Bauministerium, solle künftig das für den EU-Austritt Großbritanniens zuständige Ressort führen, teilte Mays Büro am Montag mit. Es wurde erwartet, dass es sich bei Davis' Nachfolger wieder um ein Brexit-Anhänger handeln wird. Der Job ging jedoch nicht an die prominentesten "Hard-Brexit"-Anhänger, Außenminister Boris Johnson oder Umweltminister Michael Gove. Raab wird das Ministerium jedenfalls neu ordnen müssen, denn auch sein Unter-Staatssekretär Steve Baker trat Sonntagnacht zurück.
Alle Augen sind nun auf Johnson gerichtet. Er gilt als wichtigster Brexit-Hardliner im Kabinett und bezeichnete Mays neue Brexit-Pläne Berichten zufolge während der Kabinettsklausur als "Scheißhaufen". Johnson sollte am Montagabend im Rahmen des Westbalkan-Gipfels vor die Kameras treten. Mit Spannung wird erwartet, ob er sich dabei zu seiner Zukunft als Minister äußern wird. Sollte auch er seinen Hut nehmen, wäre Mays Position erheblich in Gefahr.
Auf die "Einigung" folgt der Rücktritt
Die Premierministerin hatte ihr 27-köpfiges Kabinett am vergangenen Freitag auf einer Regierungsklausur m Landsitz Chequers zu einer gemeinsamen Haltung in den Verhandlungen mit der EU über die Neuordnung der Wirtschaftsbeziehungen nach dem Brexit eingeschworen. Demnach strebt London eine „gemeinsame Freihandelszone“ für Industrie- und Landwirtschaftsgüter mit der EU an und ist bereit, gemeinsame Regeln anzuerkennen. Details sollen noch in dieser Woche in einem "White Paper" veröffentlich werden. Die Einigung wurde als Abkehr Großbritanniens von einem harten Brexit verstanden. Der Austritt aus der EU ist weiterhin für den 29. März 2019 vorgesehen.
Die Hardliner waren von May völlig ausmanövriert worden. „Wir haben sogar auf eine Abstimmung verzichtet“, erzählte einer von ihnen nach der Regierungstagung. „Es war klar, dass wir keine Chance hatten. Es stand 20 zu 7.“ Zudem verpflichtete die Premierministerin alle Mitglieder ihres Kabinetts auf kollektive Disziplin: „Die Zeit für Diskussionen ist vorbei. Wir haben uns auf eine gemeinsame Position geeinigt“, hieß es in der Erklärung von Chequers.
Rebellion der "Brexiteers" oder Mays Sieg
Die Frage war nun, ob Davis´ Rücktritt der Auftakt zur offenen Rebellion und dem Zerbrechen der Regierung May oder der Sieg der gemäßigten Regierungskräfte über die radikalen Brexit-Anhänger sein würde. Der Abgeordnete und Hardliner Jacob Rees-Mogg, der im Parlament rund 60 der 316 Sitze der Konservativen kontrolliert, sagte in einer ersten Reaktion: „Ohne Davis wird es für May sehr schwer werden, die Fraktion zu überzeugen.“ May tritt heute, Montag, Nachmittag zuerst vor das Unterhaus und danach vor die Abgeordneten ihrer Partei, ehe sie am Abend Bundeskanzler und EU-Ratspräsident Sebastian Kurz treffen wollte.
Für einen Misstrauensantrag gegen einen Parteiführer müssen die konservativen Abgeordneten 48 Briefe mit einem entsprechenden Wunsch einreichen. Der gewöhnlich gut informierte politische Journalist Robert Peston schrieb in der Nacht auf Twitter: „Quellen bestätigen Gerüchte über Anträge auf eine Vertrauensabstimmung. Viele Abgeordnete sehr unzufrieden.“ Die oppositionelle Labour Partei warf May „völliges Chaos“ vor, Parteichef Jeremy Corbyn erklärte, die Premierministerin sei „unfähig, einen echten Brexit zu liefern.“ Je mehr die regierenden Konservativen sich zu einer gemäßigten Haltung bewegen, desto mehr versucht die Labour-Spitze mit einer harten Brexit-Position offenbar politisches Kleingeld zu machen.
EU-skeptischer Fast-Parteichef tritt ab
Mit David Davis verlässt ein Veteran der Konservativen die Frontlinie der britischen Politik. Der Sohn einer alleinerziehenden Mutter wuchs in einem Gemeindebau in Südlondon auf, eine für einen Tory mehr als untypische Herkunft. Im Jahr 2005 verlor er eine schon sicher geglaubte Wahl zum Parteiführer der Konservativen gegen David Cameron. Danach erwarb er sich als Hinterbänkler als Kämpfer für bürgerliche Freiheiten über die Parteigrenzen Respekt. Zugleich war er stets ein EU-Skeptiker. Trotz aller inhaltlicher Differenzen konnte er in den Brexit-Gesprächen mit EU-Chefverhandler Michel Barnier aber offensichtlich einen persönlichen Rapport aufbauen.
Während der ehemalige Elitesoldat für Härte und Durchsetzungskraft bekannt war, galt das detailreiche Aktenstudium nie als seine besondere Stärke. In Brüssel saß er zu Verhandlungsbeginn hemdsärmlig ohne Unterlagen, während sich auf Seiten der EU-Verhandler die Aktenordner türmten. Der Drahtzieher der Brexit-Kampagne, Dominic Cummings, bezeichnete Davis einmal als „dumm wie eine hohle Nuss, faul wie eine Kröte und eitel wir Narziss.“ Schon seit Monaten hatte Davis mit Rücktritt gedroht. Nun hat er ernst gemacht. Für Theresa May wird es noch ernster werden.
EU bleibt gelassen
Die EU-Kommission sieht für die Brexit-Verhandlungen durch den Rücktritt Davis keine Probleme. Ein Kommissionssprecher erklärte am Montag, es gebe auch keine Risse innerhalb der EU-27, sondern weiterhin eine geeinte Haltung. Ob der neue britische Brexit-Verhandler schon mit EU-Chefverhandler Michel Barnier gesprochen habe, blieb unklar. Barnier befindet sich derzeit in den USA.
Angesprochen auf die jüngste Aussage von Österreichs Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP), der gegen einen harten Brexit ist und dafür lieber länger verhandeln will, meinte der Sprecher, die Frage stelle sich nicht.