Polens Justizsystem ist für EU-Partner nicht mehr verlässlich

Demonstration gegen die Justizreform
Demonstration gegen die JustizreformAPA/AFP/WOJTEK RADWANSKI
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Der EU-Gerichtshof stellte fest, dass die Unabhängigkeit von Polens Justiz im Einzelfall geprüft werden muss.

Luxemburg/Wien. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat Zweifel an der Unabhängigkeit des polnischen Justizsystems bestätigt. Nach dessen Entscheid zur Auslieferung eines in Irland verhafteten polnischen Staatsbürgers obliegt es nun den irischen Behörden, zu prüfen, ob die Grundrechte des Straftäters in seiner Heimat tatsächlich gefährdet wären. Der Präzedenzfall könnte zur Folge haben, dass nicht nur beim Europäischen Haftbefehl, sondern auch in weiteren Rechtsbereichen Polen zunehmend in der EU isoliert wird. Der EuGH stellt nämlich in seinem Urteil ausdrücklich fest, dass der „begründete Vorschlag“ der EU-Kommission, gegen Polen ein Artikel-7-Verfahren wegen der politischen Einflussnahme auf die Bestellung von Richtern und Höchstrichtern bei der Beurteilung der Umsetzung einer solchen Auslieferung „besonders relevant“ einzubeziehen ist.

Entscheidet sich Irland nun, dass gesuchte oder verurteilte Personen nicht nach Polen ausgeliefert werden dürfen, weil sie dort keinen Zugang zu einem fairen Verfahren einer unabhängigen Justiz haben, würde Warschau erstmals konkrete Nachteile durch seine Justizreform erleiden. Nicht auszudenken sind die Folgen, wenn derartige Entscheidungen auch eine künftige wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Polen innerhalb der EU erschweren würde, da es kein Vertrauen mehr in das polnische Justizsystem gibt. Von Vertragsvereinbarungen mit polnischen Unternehmen bis zur Rechtssicherheit bei der Umsetzung von geförderten EU-Projekten könnten EU-Partner und EU-Institutionen die Kooperation einschränken.

Zwangspensionierung und Blockade

Die Regierung in Warschau hat mit ihrer Justizreform das Pensionsalter für Richter gesenkt. Oberste Richter wurden auf diese Weise in Zwangsruhestand versetzt. Ausnahmen gab es nur bei jenen, deren Gesuch vom Justizminister genehmigt wurde. Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs wurden zudem durch die Weigerung der Regierung, die Urteile zu veröffentlichen, blockiert. Die politische Einflussnahme auf die Neubesetzung wurde verstärkt. Erst Anfang Juli kam es deshalb zu Demonstrationen in Warschau. Die bisherige Vorsitzende des Obersten Gerichts, Malgorzata Gersdorf, weigerte sich, in Zwangsruhestand zu gehen und wurde von Tausenden Demonstranten an ihren Arbeitsplatz begleitet.

Nachdem die EU-Kommission ein Artikel-7-Verfahren gegen Polen wegen Verstößen gegen die europäischen Grundwerte eingeleitet hatte, gab es zwar mehrere Gespräche zwischen der Kommission und der polnischen Regierung, aber keine Annäherung. Konsequenzen aus diesem Verfahren muss Warschau vorerst nicht befürchten. Ungarns Premierminister Viktor Orbán hat angekündigt, er werde der Umsetzung der in einem Artikel-7-Verfahren vorgesehenen Sanktionen (Aberkennung des Stimmrechts im Rat der EU) im Falle von Polen nicht zustimmen.

Anlassfall für den aktuellen EuGH-Entscheid war ein polnischer Staatsbürger, der wegen illegalen Drogenhandels in Polen verurteilt und am 5. Mai 2017 in Irland verhaftet wurde. Obwohl gegen ihn ein Europäischer Haftbefehl vorlag, wurde er vorerst von der irischen Justiz nicht an seine Heimat ausgeliefert. Das Höchstgericht in Dublin ließ beim EuGH prüfen, ob die Einleitung eines Artikel-7-Verfahrens gegen Polen wegen einer politischen Einflussnahme auf die Justiz ausreicht, um eine Auslieferung abzulehnen.

So wie nun der EuGH entschieden hat, reicht es allerdings nicht aus, den Haftbefehl allein wegen des EU-Verfahrens nicht zu vollziehen. Irlands Gerichte müssen in einem ersten Schritt prüfen, ob die mangelnde Unabhängigkeit der Justiz hierbei relevant ist. Zusätzlich muss geprüft werden, ob wegen der polnischen Justizreformen auch im konkreten Einzelfall ein unfaires Verfahren droht. Laut der Aussendung des EU-Gerichtshofs „muss die vollstreckende Justizbehörde untersuchen, inwieweit die systematischen oder allgemeinen Mängel sich auf der Ebene der Gerichte auswirken können, die für den Fall zuständig sind“.

LEXIKON

Justizreform. Seit ihrem Wahlsieg im Herbst 2015 hat die PiS-Regierung in mehreren Schritten die obersten Gerichte des Landes de facto lahmgelegt und anschließend eine Justizreform beschlossen, mit der die politische Kontrolle der Gerichte durch den Justizminister verstärkt wird. Das widerspricht den im Artikel 2 des EU-Vertrags verankerten Grundwerten. Nicht nur die EU-Kommission, sondern auch die Venedig-Kommission des Europarats hat die Maßnahmen scharf kritisiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2018)

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