Syrien: Assads letzte große Schlacht

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SYRIA-CONFLICT(c) APA/AFP/OMAR HAJ KADOUR
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Eine Großoffensive der Armee auf die Provinz Idlib soll den militärischen Sieg der Regierung in Damaskus über ihre Gegner besiegeln. Hunderttausende Menschen könnten in Richtung der Türkei fliehen.

Damaskus/Istanbul. Spätestens seit vor einigen Tagen Tausende Flugblätter aus Hubschraubern auf sie herabflatterten, wissen die Menschen in der nordwestsyrischen Provinz Idlib, was ihnen bevorsteht. „Der Krieg neigt sich seinem Ende zu“, stand auf den Zetteln, wie Aktivisten berichten. Nun sei die Zeit der Versöhnung gekommen, hieß es weiter – doch gemeint war genau das Gegenteil: Die syrische Regierung ließ die Bewohner von Idlib mit den Flugblättern wissen, dass eine Großoffensive der Armee mit russischer und iranischer Hilfe bevorsteht. Im syrischen Bürgerkrieg beginnt die letzte große Schlacht.

Mehr als sieben Jahre nach Ausbruch der ersten Proteste gegen die Herrschaft von Präsident Baschar al-Assad im Frühjahr 2011 steht die Regierung in Damaskus vor dem militärischen Sieg über die Rebellen. In den vergangenen Monaten ging sie systematisch gegen Hochburgen der Aufständischen in der Nähe der Hauptstadt und im Südwesten des Landes vor.

Luftangriffe und Artilleriebeschuss

Idlib ist die einzige Region Syriens, die noch von den Rebellen kontrolliert wird. Im Westen des Landes hat Assad überall die Oberhand, und der Osten von Syrien wird von den mit den USA verbündeten Kurden beherrscht, die wohl kein Angriffsziel für Assad bilden werden: Vertreter der Kurden verhandeln mit der Regierung über eine Autonomieregelung für ihre Volksgruppe. In Idlib, einer ländlich geprägten Gegend entlang der türkischen Südgrenze, haben sich mehrere Millionen Zivilisten sowie Zehntausende Kämpfer nach Niederlagen der Assad-Gegner in anderen Landesteilen in Sicherheit gebracht. Beherrschende Kraft in Idlib ist die radikalislamische Miliz HTS, die al-Qaida nahesteht.

Wie bei den anderen Regierungsoffensiven der jüngsten Zeit begann auch die Vorbereitung auf die Schlacht von Idlib mit Luftangriffen und Artilleriebeschuss. Fast 70 Menschen, darunter viele Kinder, sollen dabei getötet worden sein. Bewohner von Idlib berichten zudem von russischen Aufklärungsflugzeugen am Himmel über der Provinz.

Doch der Großangriff, der in den kommenden Wochen erwartet wird, dürfte sich schwieriger gestalten als andere Offensiven. Die Türkei hat in Idlib zwölf Beobachtungsposten aufgebaut und rund tausend Soldaten stationiert. Protürkische Milizen und ein Teil der Bevölkerung hoffen, dass Ankaras Truppen sie gegen Assad, die Russen und die Iraner beschützen werden.

Keine Fluchtmöglichkeit mehr

Noch ein anderer wichtiger Faktor unterscheidet die Lage in Idlib von anderen Gegenden, die unter den Beschuss der Regierungstruppen geraten sind: Bisher konnten zivile Assad-Gegner und Rebellenkämpfer stets nach Idlib ausweichen – jetzt gibt es keine Fluchtmöglichkeit in Syrien mehr. Zudem hat die Türkei ihre Grenze geschlossen. Die UNO ruft Ankara auf, die Flüchtlinge trotzdem ins Land zu lassen, falls die Menschen vor den erwarteten Gefechten fliehen: Bis zu 2,5 Millionen Menschen könnten versuchen, sich beim syrischen Nachbarn in Sicherheit zu bringen, der bereits drei Millionen Syrer aufgenommen hat.

Die türkische Regierung hat jedoch offenbar andere Pläne. Präsident Recep Tayyip Erdoğan deutete in den vergangenen Tagen an, dass türkische Truppen weitere Gebiete in Syrien unter ihre Kontrolle bringen könnten, um Flüchtlingen eine Zuflucht zu bieten. Seit 2016 hat Ankara dies bereits in zwei anderen Gegenden Nordsyriens vorexerziert: in Afrin, einer Nachbargegend von Idlib, und im weiter östlich gelegenen Jarablus. Dort sind nach türkischen Regierungsangaben inzwischen mehrere Hunderttausend Syrer angesiedelt worden, die vor dem Krieg in die Türkei geflohen waren.

Neue türkische Vorstöße in Syrien dürften allerdings bei Russland auf heftige Kritik stoßen. Ankara ist laut Regierungsangaben mit Moskau im Gespräch, um eine Lösung für Idlib zu finden, doch sind Ergebnisse bisher nicht bekannt. Medienberichten zufolge versucht die Türkei bisher vergeblich, die Extremistentruppe HTS aufzulösen, um den Großangriff auf Idlib doch noch zu verhindern oder zumindest mehr Zeit zu gewinnen. Russland soll den Türken dazu eine Frist bis September eingeräumt haben – dass Ankara bis dahin die Islamisten zur Aufgabe überreden kann, ist aber unwahrscheinlich: Alle Zeichen deuten auf noch mehr Gewalt in Syrien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.08.2018)

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