Brasilien: Gewaltwelle gegen Flüchtlinge

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Ein Überfall auf einen Brasilianer durch Venezolaner löst einen Angriff zorniger Bürger einer Grenzstadt auf Flüchtlingslager von Venezolanern aus. Brasilia schickt Soldaten an die Grenze.

Rio de Janeiro/Caracas/San José. In Brasilien kam es am Wochenende zu einem Gewaltausbruch gegen Flüchtlinge aus Venezuela: Mehrere Dutzend, nach einigen Berichten mehr als 100 Einwohner der Grenzstadt Pacaraima im Bundesstaat Roraima griffen zwei Flüchtlingslager und deren Insassen an und richteten schwere Verwüstungen an. Medienberichten zufolge war der unmittelbare Auslöser ein Raubüberfall auf einen Händler und Gastwirt durch Venezolaner, die umgerechnet mehr als 5000 Euro erbeuteten. Der Mann wurde durch Messerstiche verletzt.

„Es war schrecklich. Sie verbrannten die Zelte und alles, was drin war“, sagte die Venezolanerin Carol Marcano der Nachrichtenagentur AFP. „Es gab Schüsse, sie haben Autoreifen angezündet.“

Die Straßen in der Stadt im Norden Brasiliens mit etwa 12.000 Einwohnern waren übersät mit Trümmern. Mit brennenden Reifen wurde die Brücke über den Grenzfluss zu Venezuela blockiert. Hunderte Venezolaner fluteten zuvor zurück in ihr Land, das am Rande des Bürgerkriegs steht. Der brasilianischen Militärpolizei zufolge wurden drei Brasilianer verletzt. Umgekehrt sollen etwa 30 Brasilianer, die sich gerade auf der venezolanischen Seite aufhielten, verprügelt worden sein.

Zu Opfern unter den Venezolanern lagen zunächst keine Angaben vor. Die Zahl der in Pacaraima auf der Straße oder in improvisierten Lagern lebenden Venezolaner wird auf etwa 1000 geschätzt. Seit 2017 haben mehr als 127.000 Venezolaner ihr Land Richtung Brasilien verlassen, noch viel mehr sind nach Kolumbien gegangen. Etwa 69.000 reisten aus Brasilien weiter in andere Länder. Im ersten Halbjahr 2018 beantragten 56.000 Venezolaner Bleiberecht in Brasilien.

Gestiegene Kriminalität

Die Gouverneurin von Roraima, Suely Campos, sprach sich für eine vorübergehende Schließung der Grenze aus. Von der Zentralregierung forderte sie zusätzliche Sicherheitskräfte an. Sie begründete dies mit der zunehmenden Kriminalität, für die sie die Venezolaner verantwortlich machte. Auch auf Ebene der Bundesregierung wurde zuletzt eine Zunahme von Kriminalität, Prostitution sowie des Drucks auf soziale Dienste, etwa Krankenhäuser, beklagt. Das hänge mit den Flüchtlingen aus Venezuela zusammen und fördere Fremdenfeindlichkeit, heißt es.

Das Ministerium für öffentliche Sicherheit sagte zu, dass am Montag 60 Soldaten nach Pacaraima verlegt würden. Die venezolanische Regierung forderte Brasilien auf, für den Schutz ihrer Bürger zu sorgen. Venezuela steckt infolge Ölpreisverfalls, Korruption und Misswirtschaft seiner linkspopulistischen Regierung in einer tiefen Wirtschaftskrise, die Inflation ist außer Kontrolle, das Warenangebot äußerst knapp, es gibt Engpässe bei Strom- und Wasserversorgung. Nach Schätzung des Internationalen Währungsfonds (IWF) könnte die Geldentwertung heuer eine Million Prozent erreichen.

Präsident Nicolás Maduro schreibt die Krise vor allem einem von den USA und anderen Mächten geführten angeblichen Wirtschaftskrieg gegen sein Land zu.

Streikaufruf der Opposition

Die Opposition sowie bestehende demokratische Strukturen sind unterdessen im Lauf der letzten Jahre kaltgestellt, geschwächt oder gar beseitigt worden. Aus Protest haben am Wochenende drei wichtige Oppositionsparteien in Venezuela ab Dienstag zum Streik aufgerufen. Initiatoren sind die Parteien „Primero Justicia“ (PJ) des ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Henrique Capriles, „Voluntad Popular“, deren Vorsitzender Leopoldo López unter Hausarrest steht, und „Causa R“ des früheren Gewerkschaftsführers Andrés Velásquez.

Am Montag steht Venezuela eine einschneidende Geldumstellung bevor: Dann werden im Kampf gegen die Inflation fünf Nullen der Landeswährung, des Bolivars, einfach gestrichen. Die neuen Geldscheine hätten schon Anfang August in Umlauf kommen sollen, aber die Zentralbank hat wegen Druckproblemen um Verschiebung gebeten.

Hakenkreuze in Costa Rica

Auch in Kolumbien mehrt sich Widerstand gegen Flüchtlinge aus Venezuela; offene Proteste solcher Art gab es am Wochenende auch in Costa Rica: In dem relativ wohlhabenden mittelamerikanischen Land gingen in der Hauptstadt San José hunderte Einwohner teils mit Hakenkreuzfahnen auf die Straße, um diesfalls gegen Migranten aus Nicaragua zu protestieren. Laut Regierung sind etwa 23.000 Nicaraguaner nach Costa Rica geflohen, nachdem es dort seit Monaten Zusammenstöße zwischen Regierungsgegnern und Sicherheitskräften gibt, bei denen bisher mehr als 440 Menschen starben. (wg/ag.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2018)

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