Uri Avnery: Ein schillernder Provokateur, der den Frieden liebte

Archivbild aus dem Jahr 2002: Avnery mit Jassir Arafat (re.)
Archivbild aus dem Jahr 2002: Avnery mit Jassir Arafat (re.)REUTERS
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Der verstorbene Friedensaktivist kämpfte auch mit dicken, roten Schlagzeilen gegen Korruption – und für die Zweistaatenlösung. Er war der erste jüdische Israeli, der PLO-Chef Arafat zu einem Gespräch traf.

Er war gerade 77 geworden, als Uri Avnery bei einer Demonstration kundtat, dass er nicht vorhabe zu sterben, bevor es Frieden gebe. Das gelang ihm nicht. Am Montag starb Israels unermüdlicher Friedensaktivist im Alter von 94 Jahren in Tel Aviv. Bis zuletzt war er allabendlich flotten Schrittes um sein Haus spaziert, am liebsten mit deutschen Militärmärschen in den Kopfhörern.

Der Mann, „den die Israelis zu hassen lieben“, wie der Dokumentarfilmer Jair Lev sagt, erblickte das Licht der Welt in Westfalen als jüngster von zwei Söhnen der Familie Ostermann. Er hieß zunächst Helmut. Die Familie entschied sich im Jahr der Machtergreifung Hitlers für einen Umzug nach Palästina. Sie waren die Einzigen aus der Verwandtschaft, die nach dem Krieg noch am Leben waren.

Um Palästina vom britischen Mandat zu befreien und Juden vor arabischem Terror zu schützen, schloss sich Avnery als Jugendlicher der radikalen Untergrundbewegung Irgun an. Während des Unabhängigkeitskrieges wechselte er zur Hagana, dem Vorgänger der israelischen Armee. Seine Kriegserlebnisse verarbeitete er zu einem ersten Buch, das ein Bestseller wurde und: Avnery war nun Volksheld. Das irritierte ihn. Er fühlte sich missverstanden und schrieb ein weiteres Buch. „Die Kehrseite der Medaille“ erzählt von den Schrecken der blutigen Kämpfe und politischer Skrupellosigkeit. Das wollte damals niemand hören, Avnery wurde nun in weiten Teilen der Bevölkerung geächtet.

Zusammen mit einem Kameraden kaufte er das Magazin „HaOlam HaSe“ („Diese Welt“). Korruption und die Diskriminierung der aus arabischen Staaten eingewanderten Juden gehörten zu seinen Themen, ebenso wie die „feigen Jasager“ rund um den ersten Premier, David Ben-Gurion. Er schrieb für die Rechte des „palästinensischen Volkes“, das er als erster Israeli beim Namen nannte, für Meinungsfreiheit – und eine hohe Auflage. Das Magazin stand für investigativen Journalismus, für dicke rote Schlagzeilen – und Nacktbilder.

Das Blatt polarisierte. Es kam zu einem Bombenanschlag und zu einem Angriff auf offener Straße, bei dem ihm die Hände gebrochen wurden. Der Überfall brachte ihn mit seiner Frau zusammen, die zu dem Hilflosen in die Wohnung zog, um sich zu kümmern. Mit einem „Gesetz gegen üble Nachrede“ wollten Politiker das Magazin verschwinden lassen. Avnery nahm die Kampfansage an und kandidierte Mitte der 60er-Jahre für das Parlament, wo er zehn Jahre lang blieb. Er soll keine einzige Sitzung verpasst und über 1000 Gesetzentwürfe eingebracht haben, darunter die Legalisierung von Homosexualität und Abtreibungen. 1981 machte er seinen Platz für einen arabischen Parteifreund frei.

Mit Arafat befreundet

Als erster jüdischer Israeli traf er 1982, also während des Krieges zwischen Israel und dem Libanon, den Chef der Palästinensischen Befreiungsorganisation, Jassir Arafat, in Beirut. Arafat unterbrach ihn mitten im Satz: „Ein Staat“, so lautete das Ziel der PLO damals. Avnery aber war Zionist. Ihm schwebte die Zweistaatenlösung vor: Israel und Palästina in friedlicher Nachbarschaft. „Es war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft“, kommentierte Avnery Jahrzehnte später. „Ich habe immer geglaubt, dass man mit Arafat Frieden machen kann und sollte.“

Auch da sollte er sich täuschen. Avnery gründete den Gusch Schalom, den Friedensblock, um auf außerparlamentarischer Bühne Druck auf die politische Führung auszuüben. Mit den Jahren schrumpfte das Friedenslager. Und Avnery wurde immer mehr zu einem Außenseiter in Israel. Doch er ergab nicht auf.

Noch Anfang August veröffentlichte er einen Essay zum jüngst in der Knesset verabschiedeten Nationalstaatsgesetz. „Wir gehören zu diesem Land, und wir werden hier noch viele künftige Generationen lang leben. Deshalb müssen wir zu friedlichen Nachbarn in der Region werden.“ Andernfalls sei Israel dazu verdammt, dauerhaft ein Staat der Zeitweiligkeit zu sein. Die Hoffnung auf Frieden gab Avnery bis zum Schluss nicht auf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.08.2018)

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