Polizeigewerkschafter fordern die Politik zur Mäßigung ihrer Wortwahl auf. Unterdessen herrscht Rätselraten um die Äußerungen von Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen: Wies ihn Innenminister Horst Seehofer dazu an?
In dem Streit über die Deutung der Vorfälle bei den rechtsgerichteten Demonstrationen in Chemnitz haben die deutschen Polizeigewerkschaften die Politik zu Mäßigung aufgefordert und vor Fehlinterpretationen gewarnt. Zugleich berichteten deutsche Medien darüber, dass die umstrittenen Aussagen des Verfassungsschutz-Präsidenten Hans-Georg Maaßen mit Innenminister Horst Seehofer (CSU) abgesprochen gewesen sein könnten. Eine Erklärung Maaßens vor einem parlamentarischen Gremium wurde gefordert.
"Mit dem Begriff Hetzjagd ist Schindluder getrieben worden", sagte der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, der "Neuen Osnabrücker Zeitung". "Es wäre gut, wenn sich alle Politiker mal eine Woche zurückhalten würden und sich einen zurückhaltenden Sprachgebrauch auferlegen", meinte Wendt. Für ihn sei es ein unnützer politischer Streit, der die Ermittlungen der Strafbehörden behindere, weil "Menschen vorverurteilt" würden.
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Auch der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft GdP, Oliver Malchow, rief zur Zurückhaltung auf. "Politiker sollten sich bei heiklen Themen erst dann äußern, wenn verlässliche Informationen vorliegen. Alles andere ist kontraproduktiv und führt nur zu Fehlinterpretationen", sagte er der Zeitung. Zugleich warnte Malchow aber auch davor, die Vorfälle in Chemnitz zu relativieren: "Es hat keine Hetzjagd per Definition gegeben, also dass da bewaffnete Menschen ihre Opfer durch die Straßen jagen, aber es war keineswegs eine friedliche Veranstaltung." Seine sächsischen Polizeikollegen hätten Aufmärsche, Gewalt, Körperverletzung, Beleidigung und Hitlergrüße beobachtet.
Den Begriff "Hetzjagd" hatte unter anderem Kanzlerin Angela Merkel (CDU) benutzt. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) widersprach ihr am Mittwoch in einer Regierungserklärung im Landtag. Das Geschehen in Chemnitz müsse richtig beschrieben werden, sagte er: "Es gab keinen Mob, keine Hetzjagd und keine Pogrome."
Nach der Tötung eines 35-Jährigen in Chemnitz hatte es dort in den vergangenen Tagen mehrfach Kundgebungen rechter Gruppen gegeben. Dabei wurden auch Ausländer und Journalisten angegriffen. Zwei mutmaßlich aus Syrien und dem Irak stammende Männer sitzen wegen des Tötungsdelikts in Untersuchungshaft. Nach einem dritten Tatverdächtigen wird seit Dienstag gefahndet.
Generalstaatsanwaltschaft hält Video für echt
Die Diskussion um die Aussagen des Verfassungsschutz-Präsidenten Maaßen geht unterdessen weiter. Er hatte in einem "Bild"-Interview bezweifelt, dass es in Chemnitz nach der Tötung eines Deutschen zu Hetzjagden gegen Ausländer gekommen sein soll. Dem Verfassungsschutz lägen "keine belastbaren Informationen" darüber vor. Er stellte darüber hinaus die Echtheit eines Videos infrage, das zeigen soll, wie Ausländer über eine Straße gejagt werden und schloss, ohne Beweise vorzulegen, auch eine gezielte Falschinformation nicht aus. Damit löste er eine Welle der Kritik aus. Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hält das Video dagegen für echt. Es lägen keine Anhaltspunkte für eine Fälschung vor, sagte Oberstaatsanwalt Wolfgang Klein "Zeit Online".
Im Nachhinein wurde klar, dass die Bundesregierung keine Informationen über mögliche Falschinformationen zu den Übergriffen in Chemnitz vom Verfassungsschutz erhalten hatte - und dass die Analysen des Verfassungsschutzes zu dem Zeitpunkt noch gar nicht abgeschlossen sind. Warum Maaßen die Aussagen also überhaupt traf? In der "Süddeutsche Zeitung" heißt es, er habe die Verwunderung von Beamten ob der "Hetzjagd"-Äußerung Merkels wiedergeben wollen.
Rückendeckung erhielt Maaßen dabei von Innenminister Seehofer, der ihm "vollstes Vertrauen" aussprach. Das Magazin "Focus" berichtete am Freitag in seiner Onlineausgabe einen anderen Grund für Maaßens Aussagen: Maaßen sei bei seiner Annahme, das "Hetzjagd"-Video aus Chemnitz sei gefälscht, einer Anweisung Seehofers gefolgt. Der Innenminister habe ihm geheißen, die vorläufigen Erkenntnisse zu veröffentlichen - zu dem Zeitpunkt sei das das angebliche Fehlen von Belegen für Hetzjagden gewesen.
"Er wird erklären müssen, wie er zu Bewertung kommt"
Maaßens umstrittene Äußerungen führten zu Forderungen nach einer parlamentarischen Befragung des Geheimdienstchefs. CDU-Sicherheitspolitiker Patrick Sensburg verlangte, Maaßen solle im Geheimdienstgremium des deutschen Bundestages für Aufklärung sorgen. Maaßen werde "erklären müssen, wie er zu seiner Bewertung kommt und warum er sie medial kundgetan" habe, meinte Sensburg im "Handelsblatt". Zuvor hatte bereits SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles gesagt, ihre Partei wolle das Gremium, das die Geheimdienste überwacht, für nächste Woche einberufen. Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) forderte von Maaßen Auskunft im Innenausschuss des Bundestages.
Der Regierungschef von Niedersachsen, Stephan Weil (SPD), hatte darüber hinaus die Eignung Maaßens als Verfassungsschutz-Präsident angezweifelt. Dass Maaßen gezielte Falschinformationen vermute, ohne unverzüglich Beweise vorzulegen, sei irritierend: "Ansonsten schürt er mit solchen Äußerungen den Verdacht, dass er sich schützend vor Rechtsextreme stellt." Er forderte auch Seehofer auf, schnell für Klarheit zu sorgen.
(Ag./Red.)