Österreich im Visier der UNO

Chiles Ex-Präsidentin Michelle Bachelet hielt ihre Antrittsrede als UN-Menschenrechtskommissarin in Genf.
Chiles Ex-Präsidentin Michelle Bachelet hielt ihre Antrittsrede als UN-Menschenrechtskommissarin in Genf.(c) REUTERS (DENIS BALIBOUSE)
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Die neue Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet will zum Schutz von Migranten ein UN-Team nach Österreich entsenden. In der FPÖ spricht man von einem „extrem unfreundlichen Akt“.

Wien/Genf. Es liegt einiges im Argen auf dem Planeten. Weshalb die neue Menschenrechtskommissarin der UNO, Chiles Ex-Präsidentin Michelle Bachelet, am Montagvormittag in ihrer Antrittsrede in Genf zahlreiche Konflikte und Schauplätze streifte. Es ging unter anderem um die Unruhen in Nicaragua, die Flüchtlingskrise im autoritären Venezuela und den „sehr beunruhigenden Verdacht“, dass China Mitglieder der muslimischen Uiguren zu Hunderttausenden in Umerziehungslager eingesperrt hat. Auch das kriegsgeschundene Afghanistan war Thema. Und irgendwann auch das EU-Mitgliedsland Österreich. Das ist eher unüblich.

Bachelet warf der österreichischen Bundesregierung vor, der Rückführung von Migranten aus Europa Vorrang einzuräumen und dabei „nicht sicherzustellen, dass zentrale internationale Menschenrechtsverpflichtungen eingehalten werden“. Ein Team soll nun in Österreich die „jüngsten Entwicklungen auf diesem Gebiet“ untersuchen. Es sind nur zwei Sätze im Redetext. Aber sie schlagen hohe Wellen. Eine UN-Prüfung zum Schutz von Migranten in Österreich? Die Sprecher des Innen-, des Außenministeriums und des Kanzleramts beratschlagten am Montagvormittag über die Kommunikationslinie – Message Control.

Kurz begrüßte UN-Team

Dann wurde ein Statement von Sebastian Kurz verbreitet. Die mögliche UN-Prüfung nannte der Kanzler „eine Chance, Vorurteile und gezielte Falschinformationen über Österreich richtigzustellen“. Er begrüßte den Vorstoß also offiziell, aber: „Wir hoffen, dass nach dieser Prüfung die UNO wieder Zeit und Ressourcen hat, um sich jenen Ländern zu widmen, wo Folter und Todesstrafe auf der Tagesordnung stehen.“ Das war Kritik mit der feinen Klinge. An anderer Stelle deutete der Kanzler auf die Sozialisation von Bachelet, der „ehemaligen sozialistischen Politikerin“, hin. Diese Herabsetzung des Amts von Bachelet empörten die Neos. Amnesty International in Wien bot den UN-Prüfern derweil schon Unterstützung an. „Gern stellen wir unsere Informationen zur Verfügung“, hieß es dort gegenüber der „Presse“. Wie genau diese UN-Prüfung aussehen könnte, konnte im Büro der Menschenrechtskommissarin in Genf auf „Presse“-Nachfrage niemand konkretisieren. „Details und Termine der Besuche“ würden noch finalisiert.

„Extrem unfreundlicher Akt“

Bachelet ging in ihrer Rede auch auf „ausländerfeindliche Hassreden in Deutschland“ ein, sowie die Kriminalisierung von Asylhelfern in Ungarn und noch umfangreicher die Lage in Italien. Sie kritisierte die Haltung der Regierung mit Blick auf die Seenotrettung und „den steilen Anstieg von Gewalttaten und Rassismus gegen Migranten afrikanischer Herkunft und gegen Roma“.

Neben Österreich soll nun nach Italien ein Team entsandt werden. Innenminister Matteo Salvini von der rechten Lega tobte. Er nannte die UNO „voreingenommen, sinnlos teuer und vor allem desinformiert“. Italien habe schon 700.000 Migranten. „Daher nehmen wir von niemandem Lektionen an, schon gar nicht von der UNO“, schimpfte Salvini. Letzteres sieht FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky genauso: „Dem kann ich mich nur voll anschließen“, sagte er zur „Presse“. Die mögliche Entsendung eines UN-Teams nach Österreich nannte Vilimsky einen „extrem unfreundlichen Akt bar jeder Nachvollziehbarkeit“. „Ginge es Migranten in Österreich nicht gut, wäre der Strom nicht vorhanden.“ Bachelets Redetext wertete der FPÖ–General als „politischen Ruf aus einer sehr linken Geisteshaltung heraus ohne jegliche reale Basis“.

Ganz überraschend kam Bachelets Vorstoß aber nicht. Ihr Vorgänger, der Jordanier Zeid Ra'ad al-Hussein, hatte die türkis-blaue Regierung scharf kritisiert. Al-Hussein klagte über „falsche und hetzerische Äußerungen“ österreichischer Politiker. Der jordanische Diplomat formulierte gern undiplomatisch. Er legte sich mit den UN-Vetomächten an. Für eine Wiederkandidatur fehlte dem am Ende frustrierten al-Hussein auch deshalb die Unterstützung. Und nun legte – Ironie der Geschichte – Bachelet nach.

Zweifelhafte Mitglieder im UN-Rat

Die neue UN-Menschenrechtskommissarin hat sich eine dicke Haut zugelegt. Schon ihrer Biografie wegen. Bachelet war nach dem Putsch 1973 von den Schergen Augusto Pinochets gefoltert worden. So wie ihr Vater, ein Luftwaffengeneral, der die Tortur nicht überlebte. Bachelet selbst ging in die DDR, wurde Ärztin – und viel später, 2006, die erste Frau an der Spitze Chiles. Zweimal war sie Präsidentin, 2006 bis 2010 und 2014 bis Anfang 2018. Sie gilt als unerschrocken und kämpferisch. Der neue Job wird ein Ritt auf der Rasierklinge, zumal sie nun auch über den Menschenrechtsrat wachen muss, dem immer wieder Mitglieder zweifelhaften Rufs angehören, zurzeit sind das unter anderen Afghanistan, Pakistan, Katar und Kongo.

Auf einen Blick

UN-Menschenrechtsrat. Michelle Bachelet, die neue UN-Menschenrechtskommissarin, hat in ihrer Antrittsrede in Genf von den USA bis China Missstände in aller Welt aufgezeigt – und dabei auch Kritik an der Flüchtlingspolitik in der EU geübt, insbesondere in Österreich und Italien. Die chilenische Ex-Präsidentin kündigte an, UN-Beobachterteams zur Überprüfung des Schutzes der Migranten nach Wien und Rom zu schicken, wo rechtspopulistische Parteien in der Regierung vertreten sind. Bundeskanzler Sebastian Kurz sieht dies als Chance, Vorurteile zu widerlegen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.09.2018)

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