Vor einem Jahr nannte er sie noch Nationalsozialisten, nun will Recep Tayyip Erdoğan das schwierige Verhältnis zur deutschen Regierung kitten. Wie geht man mit so einem Gast um? Über einen Staatsbesuch, der Berlin auf die Probe stellte.
Kurz vor dem Abflug sollte sich eine letzte Machtdemonstration noch ausgehen. Eine weitere Provokation, sobald alle Hände geschüttelt, alle offiziellen Empfänge besucht worden waren. Die deutsche Bundesregierung hatte erst spät davon erfahren, doch das war nur eine von vielen Grenzüberschreitungen, die sich Recep Tayyip Erdoğan geleistet hatte. Der türkische Präsident wollte am Samstag, dem letzten Tag seines Staatsbesuchs in Deutschland, in Köln einen großen Auftritt haben. Für sich alleine. Und das, obwohl er angekündigt hatte, auf Massenveranstaltungen zu verzichten.
Daraus wurde nichts. Zumindest nicht so, wie Erdoğan es sich vorgestellt hatte. Deutschland wollte ihm zeigen, dass sich selbst ein Ehrengast nicht alles erlauben kann. Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker teilte daher am Freitagabend mit, dass das Großevent nicht stattfinden dürfe: Erdoğan könne zwar, wie geplant, die Zentralmoschee des umstrittenen Vereins Ditib eröffnen – mit etwas mehr als 500 geladenen Gästen. Die Feier, die im Anschluss vorgesehen war, wurde aber untersagt. Der Verein hatte auf den sozialen Netzwerken Deutsche und Türken aus allen Bundesländern eingeladen. 25.000 Menschen waren angekündigt. Zu viele, um in der aufgeheizten Stimmung während des Staatsbesuchs die Sicherheit aller Beteiligten zu gewährleisten. Daher auch der Appel der Stadtregierung: Die Eröffnungszeremonie werde im türkischen Fernsehen übertragen. Interessierte sollten sie dort verfolgen, und nicht nach Köln kommen. Laut „Bild“ zeigte sich die türkische Delegation „sehr enttäuscht“ über die Absage. Erdoğan soll auch überlegt haben, den Zwischenstopp in Köln ganz abzublasen.
1988, 2011, 2018
Dabei sollte der dreitägige Staatsbesuch von Erdoğan die Beziehung zwischen Deutschland und der Türkei zumindest in Ansätzen normalisieren. Dazu war der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) bereit, den umstrittenen Präsidenten als offiziellen Staatsgast zu empfangen. Das ist die höchste Ehre, die ein Land einem anderen bieten kann. Zuletzt war das bei Erdoğans Vorgängern in den Jahren 1988 und 2011 der Fall. Für die Bundesregierung war es ein Zugeständnis an den stolzen Despoten. Erdoğan konnte so die Macht der Bilder nutzen und sich als willkommenen Staatsmann in Europa präsentieren. Und in Berlin erhoffte man sich, wieder eine funktionierende Gesprächsbasis zwischen Deutschland und der Türkei aufbauen zu können.
Auch Erdoğan ging gleich mehrere Schritte auf Berlin zu. Er willigte ein, erst nach der Präsidentschaftswahl im Sommer nach Berlin zu reisen. Und das, obwohl mit 1,4 Millionen Menschen die meisten wahlberechtigten Auslandstürken in Deutschland leben. Kurz vor dem Abflug schmeichelte Erdoğan sogar der Regierung: „Wir wollen all die Probleme hinter uns lassen und wieder eine herzliche Atmosphäre zwischen der Türkei und Deutschland schaffen – genau so, wie es früher war.“
Erste Annäherungen
Aus Erdoğan spricht Taktik, vielleicht auch ein bisschen Verzweiflung. Die Wirtschaft seines Landes steckt in einer Krise, Investoren verabschieden sich, mit den USA entfernt sich ein einst wichtiger Partner. Umso wichtiger wird nun Europa für ihn, und damit auch Deutschland. Auch, wenn er erst vor einem Jahr der Regierung Methoden des Nationalsozialismus vorwarf.
Deutschland wollte die gute Ausgangslage nutzen, um wichtige Themen anzubringen. Vor allem geht es der Regierung um die Einhaltung von Menschenrechten und der Pressefreiheit. Nach einem Putschversuch vor zwei Jahren in der Türkei wurden – neben tausenden anderen – auch mehrere deutsche Staatsbürger inhaftiert. Berlin versucht noch immer, auf diplomatischem Wege die Freilassung von fünf Deutschen zu erreichen.
Wobei – so diplomatisch verlief es während des Staatsbesuchs am Ende gar nicht. Nicht nur bei dem gemeinsamen Auftritt von Erdoğan und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), bei dem sie die „tiefgreifenden Differenzen“ in vielen Ansichten aufzählten.
Bei dem Staatsbankett, das Steinmeier am Freitagabend, wie protokollarisch vorgesehen, für Erdoğan organisierte, entlud sich die Spannung endgültig. Allerdings nicht, weil von den 300 geladenen Gästen gerade einmal 120 anwesend waren – vor allem Oppositionspolitiker lehnten ein gemeinsames Essen mit Erdoğan ab. Sondern als Steinmeier in einer Ansprache sehr deutlich wurde und seine Sorge „um deutsche Staatsangehörige, die aus politischen Gründen in der Türkei inhaftiert sind“ ansprach. „Ich hoffe, Herr Präsident, Sie verstehen, dass wir darüber nicht zur Tagesordnung übergehen.“ Erdoğan reagierte wütend und hielt eine – für solche Anlässe unübliche – Gegenrede. Er verlange Respekt für das türkische Justizsystem.
Dafür erhielt er am Samstag wenig Widerspruch: Die Kölner Bürgermeisterin Reker wollte bei der Moschee-Eröffnung dabei sein. Als der Moscheeverein ihr kein Rederecht erteilte, blieb sie demonstrativ fern. Bevor der Ehrengast Erdoğan nach Ankara zurückflog, erhielt er also doch noch seinen eigenen Auftritt, ganz allein.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.09.2018)