Die Grünen in Österreich dümpeln in der außerparlamentarischen Opposition vor sich hin, während die deutschen Parteifreunde an der SPD vorbeiziehen und als neue „Volkspartei“ gehandelt werden. Was ist da passiert?
Wien/Berlin. Es gab Zeiten, da waren Österreichs Grüne auf den Klausuren der deutschen Kollegen immer zugegen. Als Berater. Als Experten für Wahlerfolge sozusagen. Man schaute eben auf zu den „erfolgreichsten Grünen in ganz Europa“, wie Ingrid Felipe die eigene Partei noch im Sommer 2017 nannte.
Inzwischen wurden Österreichs Grüne in die außerparlamentarische Opposition verdammt. Sie sind gespalten und geschrumpft. Die deutschen Parteifreunde indes berauschen sich an sich selbst. Es gibt keine Flügelkämpfe mehr, dafür selbstbewusste Ziele, darunter jenes, die SPD als stärkste Kraft in der linken Mitte abzulösen. In Österreich klänge das nach Hybris. Doch beim großen Nachbarn zogen die Grünen nun in einer Umfrage tatsächlich an den Sozialdemokraten vorbei – 17 zu 16 Prozent. Platz zwei. Andere Meinungsforscher sehen sie in Schlagdistanz zu SPD und AfD.
Die Zeitenwende deutete sich schon bei den Wahlen im Herbst 2017 an: Die deutschen Grünen hatten ihr kleines Plus (8,9 Prozent) sozialdemokratischen Überläufern zu verdanken. In Österreich wanderten Wähler in die entgegengesetzte Richtung. Die Grünen (3,8 Prozent) verloren – vor allem an die SPÖ. Erklärungen gibt es viele, eine davon lautet, dass die alten und neuen SPD-Chefs, Martin Schulz und Andrea Nahles, im städtischen linksliberalen Milieu weniger punkten als Christian Kern oder Pamela Rendi-Wagner.
Die neue grüne Hoffnung in Deutschland nährt zudem Robert Habeck (46), der Co-Parteichef und Literat, der die Partei mit zur Schau getragener Lässigkeit führt. Der Mann in Jeans und mit Dreitagebart greift in die Mitte aus. Symbolpolitik hilft dabei. Habeck fährt auf Sommertour zum Militär, er schreibt vom „linken Patriotismus“. Schon als Umweltminister in Schleswig-Holstein kochte er misstrauische Fischer auf Bootsfahrten ein. Habeck gibt sich pragmatisch. Er strahlt über das eigene Milieu hinaus. So wie einst Alexander van der Bellen in Österreich. Oder Ministerpräsident Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg.
Zwar ist Habeck kein politischer Quereinsteiger, als der er sich zuweilen inszeniert, aber auch nicht Werner Kogler, Österreichs Grünen-Chef, der 18 Jahre Nationalratsabgeordneter war.
Der Umfrageaufstieg begann aber schon vor Habeck und zwar mit den Verhandlungen einer „Jamaika“-Regierung gemeinsam mit Union und FDP. Die Grünen gaben sich kompromissbereit, staatstragend. Das Fundi-Lager hielt still. Das gefiel den Deutschen und nutzte im Kampf um die bürgerliche Mitte und gegen die FDP, die Jamaika platzen ließ. Es kam Schwarz-Rot, die GroKo, die seither von Krise zu Krise stolpert. Was der AfD nutzt. Und den Grünen, die lange unter Angela Merkels CDU gelitten hatten, weil sie in ihrem Lager wilderte. Aber nun wirkt die Methode Merkel erschöpft. Die SPD sowieso. In Bayern könnten die Grünen am 14. Oktober auf Platz zwei klettern.
Von der „grünen Volkspartei“ ist die Rede. Das gab es schon einmal, nach Fukushima 2011. Den Umfrageerfolg von damals brachten die Grünen aber nicht ins Ziel. Es folgte ein Kater.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.10.2018)