Jair Bolsonaro hat die erste Runde der Präsidentenwahl überraschend deutlich für sich entscheiden. Er hat gute Chancen, am 28. Oktober zum Staatsoberhaupt gewählt zu werden. Im Wahlkampf hatte er gegen Frauen und Schwarze gehetzt.
Das 210-Millionen-Land Brasilien, bis 1822 Kolonie Portugals, hat am Sonntag neben mehr als 1600 Repräsentationsposten (darunter alle Kongresssitze, zwei Drittel der Senatorenposten und alle 27 Gouverneursämter) auch die Wahl eines neuen Präsidenten eingeleitet. Klarer Sieger der ersten Wahlrunde ist Jair Bolsonaro, ein als extrem rechts eingestufter Kandidat und Ex-Offizier, der gern gegen Frauen, Homosexuelle und Schwarze hetzt, die frühere Militärdiktatur lobt und Donald Trump als Vorbild hat.
Mit 46,21 Prozent der Stimmen entschied Bolsonaro am Sonntag die erste Runde für sich. An zweiter Stelle lag Fernando Haddad von der linken Arbeiterpartei mit 28,97 Prozent der Stimmen. Der linke Bewerber Ciro Gomes kam auf 12,50 Prozent, der Mitte-Rechts-Kandidat Geraldo Alckmin auf 4,78 Prozent. Für Henrique Meirelles, Wunschkandidat des amtierenden Staatschefs Michel Temer, stimmten sogar nur 1,21 Prozent der Wähler.
Hilfe von Steve Bannon
Bolsonaro, Nachfahre italienischer Migranten aus dem Bundesstaat São Paulo, der sich erst 2017 der winzigen sozialliberalen Partei PSL angeschlossen hatte, inszenierte seinen Siegeszug von Anfang an via Facebook, Twitter und WhatsApp. Wohl wissend, dass ihm nur acht Sekunden TV-Werbung pro Tag zustehen würden, verbreiteet er seine Visionen virtuos virtuell und mit seinen eigenen "Wahrheiten". So gelang es ihm etwa, sich als Polit-Außenseiter zu inszenieren, obwohl er seit 27 Jahren im Kongress sitzt.
Der Mann, der sich „Trump aus den Tropen“ nennt, hat nicht nur mehrfach Bewunderung für den US-Präsidenten bekundet, er hat auch praktische Hilfe von dessen früherem „Schattenmann“ Steve Bannon empfangen, der auch die Euro-Bolsonaros Orbán in Ungarn, Wilders in Holland und Le Pen in Frankreich in deren Anti-EU-Systemkampf coacht. Dessen Strategien scheinen wirklich aufzugehen: Je heftiger Bolsonaro attackiert wird, desto besser wurden seine Umfragewerte. Voriges Wochenende etwa demonstrierten in vielen Städten des Landes Frauen und Homosexuelle unter dem Motto #EleNao, zu Deutsch: „Nicht er“. Seit Jahrzehnten hatte Bolsonaro regelmäßig Frauen und Homosexuelle beleidigt, oft sehr aggressiv. Doch nach den Demos maßen die Demoskopen starke Zustimmungsgewinne für Bolsonaro – und zwar ausgerechnet unter Brasiliens Wählerinnen.
Kann der Vater von fünf Kinder, der seine Tochter öffentlich einen "Betriebsunfall" genannt hatte, bei der zweiten Wahlrunde am 28. Oktober Brasilien erobern? Seine Chance steht sehr gut. Seine Fans haben einen Namen für den Kandidaten: "Mythos, Mythos, Mythos" lauten die Sprechchöre, in denen Bolsonaro auftaucht. Wie ein Held wird er verehrt, viele sehen in ihm die letzte Hoffnung für ihr Land.
"Brasilien über alles. Gott über jeden", lautet ein Slogan der Kampagne des Mannes, dessen bisher größte politische Leistung es war, sieben Mal die Partei gewechselt zu haben, seitdem er 1988 in den Kongress eingezogen ist. Seitdem hetzte der Hinterbänkler, wiewohl weit entfernt von aller Macht, sodass ihn viele in Brasilia für wohl hanebüchen, aber harmlos abtaten. Das hat sich geändert: Im April erstatte Brasiliens oberste Strafverfolgerin gar Anzeige gegen ihn. Sie wirft ihm Rassismus vor, das ist in Brasilien ein Delikt, auf das ein bis drei Jahre Haft stehen. In einer Rede, gehalten in einem jüdischen Club im Vorjahr, lästerte er über Frauen, Indios und Quilombolas - das sind Siedlungsgemeinschaften von Nachfahren afrikanischer Sklaven. "Die machen gar nichts. Nicht mal zur Arterhaltung taugen die noch", sagte er.
Verlässlicher Doktor
Seinen unerwarteten starken Erfolg von Sonntag hat Bolsonaro übrigens auch einem verlässlichen Doktor zu verdanken. Am vergangenen Mittwoch suchte der brasilianische Chirurg Antonio Luiz de Vasconcellos Macedo seinen derzeit prominentesten Patienten auf und verordnete diesem Schonung. Bolsonaro musste sich von den Folgen eines Messerattentats erholen. Also musste Bolsonaro auch die letzte der sechs TV-Elefantenrunden absagen, die am Donnerstagabend über die Bildschirme von Südamerikas größtem Sendernetzwerk Globo flimmerte. Bei allen vorherigen Urnengängen in dem Riesenland war es genau dieses Event, das die noch unschlüssigen Staatsbürger entscheidend beeinflusste.
Dereinst hätten malade Präsidentschaftskandidaten ihre Mediziner bestürmt, sie für solch ein Event unbedingt fitzuspritzen. Doch in dieser ebenso eigen- wie neuartigen Kampagne zog es Jair Bolsonaro vor, in seiner Wohnung in Rio de Janeiro zu bleiben.
Freilich nicht allein. Während seine zwölf Gegner sich nun coram publico zerfleischten, ließ sich der 63-Jährige in aller Ruhe vom Konkurrenzkanal Rede Record interviewen. Dagegen hatte der Hausarzt nichts, denn er wusste: Brasiliens zweitgrößter Kanal gehört dem Milliardär Edir Macedo, der auch die Universalkirche vom Königreich Gottes leitet, eine der profitabelsten Pfingstkirchen des Planeten. Und Macedo gehört zu jenen einflussreichen evangelikalen Führern im Land, die in den vergangenen Wochen ihren Zuspruch für den ziemlich rechtslastigen bis als rechtsextrem geltendenden Kandidaten Bolsonaro erklärt haben.
Also verlief das Gespräch zwischen Rede Record und dem Kandidaten Bolsonaro ungefähr so spannungsarm wie ein Interview des ungarischen Staatsfernsehens mit Viktor Orbán. Am Ende konnte sich Bolsonaro freuen, dass er nicht nur den Angriffen seiner Kontrahenten entkommen, sondern diesen auch noch ein Drittel des Publikums abjagen konnte.
Rückenwind ohne Ende
Es war tatsächlich eine feine Woche für den rechten Rekonvaleszenten, der erst vorigen Samstag aus dem Spital entlassen worden war – nach immerhin 23 Tagen. Ein geistig verwirrter Mann hatte Bolsonaro am 6. September während einer Wahlkundgebung ein Küchenmesser in den Unterleib gestochen. Doch Bolsonaro erholte sich rasch. Anstatt sich den Angriffen der Mitbewerber auszusetzen, machte er seine Art von Wahlkampf - aus der Intensivstation direkt auf Instagram. Die Methode war allein deshalb sehr effektiv, weil Bolsonaro mehr als zehnmal so viele Menschen in den sozialen Netzen folgen als sein Stichwahlkontrahenten Fernando Haddad von der Arbeiterpartei PT.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2018)