„Unser Nachbar in Wien war Seyß-Inquart“

Staatssekretärin Karoline Edtstadler bei der Kranzniederlegung beim Grab Theodor Herzls.
Staatssekretärin Karoline Edtstadler bei der Kranzniederlegung beim Grab Theodor Herzls.(c) Eugenie Sophie Berger
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Wie ÖVP-Staatssekretärin Karoline Edtstadler, im Innenministerium fürs Holocaust-Gedenken zuständig, in Jerusalem jüdischen Altösterreichern begegnete – und die FPÖ verteidigte.

JERUSALEM. In der Straße, die „Friede sei mit euch“ heißt, also Shalom Aleichem, Nummer zehn, haben die Älteren schon Platz genommen. Die Tische sind feierlich gedeckt, jemand hat in Papiertassen bunte Servietten drapiert, sie sehen aus wie kleine Blumensträuße. Die meisten hier waren sehr klein, als sie nach dem sogenannten Anschluss aus Österreich verjagt wurden. Die Erinnerung daran ist jedoch gleichermaßen lebendig wie bedrückend. Hier kreuzen sich Fluchtwege, die von Triest nach Argentinien reichen, von Mauritius bis Palästina. „Unser Nachbar in Wien war Seyß-Inquart, ein Jurist, wie mein Vater“, sagt Esther Ticho, die gerade Apfeltee trinkt, der winterlich nach Zimt riecht, „und er hat zu meinem Vater gesagt: ,Geht lieber weg von hier.‘“ Der Vater habe gewusst: Es wird schlimm in Wien. Er wusste nur nicht, wie schlimm.

Im Klub der Österreicher auf der Shalom Aleichem, westlich der energiegeladenen Jerusalemer Altstadt, sitzt auch die Staatssekretärin im Innenministerium. Karoline Edtstadler schüttelt Hände und fotografiert, später wird sie bei ihrer Rede sagen: „Es ist mein erster Besuch in Israel.“ Und: „Es ist mir ein Herzensanliegen, hier zu sein.“ Ihr mehrtägiger Arbeitsbesuch fällt nicht nur in das Gedenkjahr 2018 – Kanzler Sebastian Kurz war im Juni in Israel –, sondern soll auch die Weichen für zukünftige Erinnerungsprojekte und -gedenken legen. Sie denke etwa an Videokonzepte, damit die Erzählungen der Überlebenden auch für nachfolgende Generationen gesichert werden.

„Irgendwann in die Zukunft blicken“

Gespräche dazu führte Edtstadler im kleinen Kreis sowohl in der Knesset als auch im Jerusalemer Außenministerium. Dass das Gedenken an die Shoah in das Ressort der Staatssekretärin fällt, ist freilich kein Zufall. Innenminister Herbert Kickl ist, wie alle anderen FPÖ-Minister auch, mit einem offiziellen Boykott belegt. Edtstadler sagt, dass sie innerhalb der israelischen Innenpolitik Bewegungen vernehme, die Kontaktsperre aufzulockern. „Ich bin immer dafür eingetreten, dass wir als gesamte Bundesregierung wahrgenommen werden.“

Man solle demütig und würdig der Opfer des Nationalsozialismus gedenken, „aber irgendwann auch anfangen, sich die Hände zu reichen und positiv in die Zukunft zu blicken“. Die FPÖ habe erste Schritte in die Richtung gesetzt, beispielsweise mit dem Einsetzen der Historikerkommission zur Aufarbeitung der eigenen Parteigeschichte.

Im Klub der Österreicher kommen die Ereignisse aus Wien mal stärker, mal schwächer an. Frau Ticho sagt, sie verfolge derzeit die Nachrichten rund um die Migranten, die in Westeuropa Zuflucht suchen, „aber nur im Radio. Sachen wie Television und Handy, das habe ich nicht.“

Auf der anderen Seite des Raumes sitzt Berthold Klein, er trägt Jackett und Krawatte und hat die Hände zusammengefaltet. Bei seiner Flucht aus Wien im Jahr 1940 war er gerade einmal zwölf Jahre alt. Es war ein zermürbender Irrweg, der für mehrere Jahre in Mauritius endete, wo er in einer erbärmlichen Baracke festgehalten wurde. „Da waren auch Doktoren und Professoren, die haben mir Unterricht gegeben.“ So habe er wenigstens die beste Bildung bekommen, scherzt er leise. Später emigrierte Klein nach Israel, nie verloren hat er sein feines Wienerisch.

In der geräumigen Halle des Klubs, so hell er auch ist, scheint der dunkle Dunst der Vergangenheit dennoch greifbar. Viel hängt nicht an den Wänden, der Raum ist reduziert auf das Wesentliche: Hier treffen sich die Überlebenden zweimal in der Woche, nicht nur zum Kaffee, sondern auch für Gymnastik, für Gespräche. Der österreichische Nationalfonds sichert die Finanzierung, die österreichische Botschaft hat gerade Hilfszahlungen an 30 sehr arme Überlebende zugesagt.

Deutsch bleibt bei FPÖ hart

Den Präsidenten kennen hier die meisten. Auch Oskar Deutsch von der Israelitischen Kultusgemeinde Österreichs (IKG) schüttelt Hände, grüßt bekannte Gesichter. Seinen Zuhörern zugewandt, hebt er die positiven Beziehungen zur aktuellen Regierung hervor, „aber über den zweiten Teil dieser Regierung müssen wir heute nicht sprechen“, sagt er mit Blick auf die FPÖ. Während er im Jerusalemer Klub sitzt, gehen in Wien die Wogen hoch: Die FPÖ-nahe Publikation „Zur Zeit“ sollte in den offiziellen Räumen des Palais Epstein einen Medienpreis erhalten. Dabei erschien in der jüngsten Ausgabe des Blattes ein Artikel, in dem der Autor von Waffenbesitz und Arbeitshäusern träumt. Vergeben wollte den Preis das FPÖ-nahe Dinghofer-Institut, die Veranstaltung wurde jedoch nach massiver Kritik abgesagt. Deutsch sagt, vertrauensbildende Maßnahmen vonseiten der FPÖ sehe er keine, auch keine Entwicklung zum Positiven. Allein im Gedenkjahr 2018 seien mehr als 40 antisemitische Vorfälle in rechten Kreisen dokumentiert worden. Und: „Medien wie ,Zur Zeit‘ und ,Unzensuriert‘ haben nichts mit Medienfreiheit zu tun. Die braune Linie wurde oft überschritten.“ Die IKG setzt die offizielle Politik der israelischen Regierung im Kleinen um und pflegt keine Kontakte zur FPÖ.

Der andere Teil der Regierung jedoch kämpfe glaubwürdig gegen Antisemitismus, so Deutsch. „Ich sehe meinen Besuch hier als Zeichen, dass Österreich seine Verantwortung ernst nimmt“, sagt auch Staatssekretärin Edtstadler. Ob denn nicht die Querschüsse des Koalitionspartners genau das erschweren würden? „Natürlich sind solche Vorkommnisse nicht zuträglich. Das ist natürlich auch eine schwierige Situation für uns. Aber ich hoffe, dass es à la longue gelingt, nicht jede Geschichte negativ auszulegen, und dass die Vertrauensbildung im Vordergrund steht. Es wird auch in Israel wahrgenommen, dass die Bundesregierung in Österreich hervorragende Arbeit leistet.“

1000 Überlebende aus Österreich

Etwa 1000 Überlebende aus Österreich leben in Israel. Herr Qwit ist einer von ihnen. Er trägt einen Schnauzer und sportliche Kleidung, sein Händedruck ist ausgesprochen herzlich. Bis er nach seiner Flucht – er war im Jahr des sogenannten Anschlusses etwa ein Jahr alt – in Palästina ankam, verging mehr als ein Jahr, erzählt er. Mehrere Schiffe wechselten er und seine Mutter, nirgends durften sie anlegen.

Von seiner ehemals großen Familie – der Vater war eines von zwölf Kindern – sei nur mehr er mit dem Namen Qwit übrig geblieben. Seine Kinder hätten diesen Namen behalten und keinen hebräischen angenommen, erzählt Qwit erleichtert. „Darüber bin ich sehr froh.“ Gemeinsam mit einer größeren Delegation kommen die Überlebenden im November nach Wien, das Bundeskanzleramt lädt sie ein. Da freue er sich schon, sagt Herr Qwit.

Compliance-Hinweis:
Die Kosten für die Reise nach Israel werden teilweise vom österreichischen Bundesinnenministerium übernommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.10.2018)

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