Angela Merkel verzichtet auf den Parteivorsitz, will aber Regierungschefin bleiben. Es wäre besser gewesen, sie hätte auf beide Ämter verzichtet.
Die Trennung von Kanzlerschaft und Parteivorsitz ist ein fataler Fehler. Sie bedeutet einen „Autoritätsverlust auf ganzer Linie“ und den „Anfang vom Ende“ einer Kanzlerschaft. Es ist eine brutale Analyse. Sie stammt von Angela Merkel, aus dem Jahr 2004. Parteivorsitz und Kanzlerschaft gehören zusammen: Das war ein ehernes Prinzip der deutschen Regierungschefin. Sie wiederholte es immer wieder. Bis gestern, als die mächtigste Frau Europas ihre Grundsätze brach und nach 18 Jahren an der Spitze der CDU ihren Verzicht auf das Amt des Parteichefs kundtat.
Im Angesicht von Umfragetiefs und Wahlpleiten räumte Merkel auch ein zweites ihrer Machtprinzipien ab: Nenne kein Ablaufdatum! „Die vierte Amtszeit ist meine letzte“, sprach die Kanzlerin. Angela Merkel hätte besser bei Angela Merkel nachgelesen. Ihr halber Abgang ist ein „Autoritätsverlust auf ganzer Linie“ (und ein Glaubwürdigkeitsverlust obendrein). Wer nicht mehr in der Lage ist, eine Partei zu führen, der sollte auch kein Land regieren. So degradiert sich Merkel zur „lame duck“, zur lahmen Ente, zu einer Regierungschefin auf Abruf.
Ein Platzen der Großen Koalition (GroKo) wäre nun auch ihr Ende. Es ist jederzeit möglich. Merkels Rückzug von der CDU-Spitze setzt die angeschlagene SPD-Chefin Andrea Nahles weiter unter Druck. Mit einem neuen Arbeitspapier, wie gestern angekündigt, werden sich die Genossen wohl nicht abspeisen lassen. Nur die Angst vor Neuwahlen hält die SPD noch in der kraft- und glücklosen GroKo. In der CDU kündigt sich nun ein Showdown an, wie ihn der disziplinierte „Kanzlerwahlverein“ schon lange nicht erlebt hat. Das ist ein Glück. In den Merkel-Jahren verkümmerte die Debattenkultur. Die Partei braucht endlich frische Luft. Die Krise der Christdemokraten verschwindet jedoch nicht mit dem Abgang der CDU-Chefin. Die Hessen-Wahl legte das Dilemma offen. AfD und Grüne saugten gleichermaßen Wähler von der CDU ab. An beiden Rändern der Volkspartei knabbert die Konkurrenz. Jeder Schritt nach rechts gibt Platz in der Mitte frei - und umgekehrt. Weshalb es in der CDU auch in der nun eingeläuteten Post-Merkel-Ära prominente Gegner einer konservativen Wende gibt, darunter Armin Laschet, Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen, der sich eine Kandidatur für das CDU-Spitzenamt offenhält.
Sicher ist, dass sich die Methode Merkel erschöpft hat. Zu den historischen Verdiensten der CDU-Chefin zählt zwar, die Partei mit einem Modernisierungskurs entstaubt und für junge und urbane Schichten geöffnet zu haben. Merkel stellte auch die SPD kalt: Sie vollzog dafür eine innere Wende weg von der neoliberalen Reformerin hin zur großkoalitionären Landesmutter. Sie verwischte die Unterschiede zur SPD. Doch der Preis der Methode Merkel war hoch, auch für die eigene Partei, die an schwerer Profilschwäche leidet. Und die rechte CDU-Flanke öffnete sich für die AfD, deren Erstarken immer mit der Ära Merkel verbunden bleiben wird.
Man kann Merkels angekündigten Teilrückzug auch als Versuch deuten, ihren internen Gegnern das Momentum zu rauben und eine geordnete Hofübergabe einzuleiten. Zumal eine „Mini-Merkel“ als Nachfolgerin bereitstünde. So tauften Medien die CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK), die in ihrem sachlich-nüchternen Stil der Kanzlerin ähnelt und zu deren engsten Vertrauten zählt. Eine Parteichefin AKK, so das Kalkül Merkels, würde das Erbe der Noch-Kanzlerin wahren und ihr in der Endphase ihrer Regierungszeit den Rücken freihalten.
Mit Jens Spahn ist dem Frauen-Duo ein ernst zu nehmender Gegenkandidat erwachsen. Der begabte Redner stilisierte sich früh zum Merkel-Gegner. Spahn eckt zwar an. Auch in den eigenen Reihen. In den vergangenen Monaten schärfte der Anführer der Konservativen jedoch als Gesundheitsminister geschickt sein soziales Profil.
Mit ihrem angekündigten Rückzug als Kanzlerin nach dieser Wahlperiode schreibt Merkel übrigens Geschichte. Noch nie hat ein CDU-Regierungschef aus freien Stücken von der Macht gelassen. Merkel wäre also die Erste – und sie wäre trotzdem sehr spät dran.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.10.2018)