Großbritannien

Die Messer gegen Theresa May sind gewetzt

Um ein Votum über May erzwingen zu können, sind 48 Anträge erforderlich.
Um ein Votum über May erzwingen zu können, sind 48 Anträge erforderlich.(c) APA/AFP/DANIEL LEAL-OLIVAS
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Gegner der Regierungschefin schmieden Putschpläne. Für Misstrauensvotum fehlen Unterschriften. Wie viele, darüber wird heftig spekuliert.

London. Zu Beginn einer Schicksalswoche in Großbritannien haben die Kritiker des EU-Deals von Premierministerin Theresa May den Druck weiter erhöht. Der in der Vorwoche aus Protest gegen das Abkommen zurückgetretene Brexit-Minister Dominic Raab sagte der „Sunday Times“: „Wenn wir keine vernünftige Vereinbarung schließen können, müssen wir dem Volk ehrlich sagen, dass wir uns nicht bestechen, erpressen oder unter Druck setzen lassen.“ Dafür bedürfe es „politischen Willen und politischer Entschlossenheit. Doch ich bin nicht sicher, dass diese Nachricht jemals angekommen ist.“

Raab ließ damals erstmals erkennen, dass er sich offenbar für eine mögliche Nachfolge von May bereithält, obwohl er unterstrich, keinen Antrag auf ein Misstrauensvotum einbringen zu wollen. May erwiderte postwendend: „Mich loszuwerden, nützt der Sache des Brexit nichts. Es ändert weder die Verhandlungssituation noch die Kräfteverhältnisse im Parlament.“

Um ein Votum über May erzwingen zu können, sind 48 Anträge erforderlich. Werden diese erreicht, könnte bereits morgen, Dienstag, eine Vertrauensabstimmung in der konservativen Fraktion stattfinden. Selbst aus Kreisen der May-Gegner war zu hören, „mit mehr als 70 Stimmen gegen sie können wir nicht rechnen.“ Für einen Sturz Mays sind aber 158 Stimmen erforderlich.

Dass es zu einer Abstimmung in der Partei über May kommt, ist dennoch möglich. 42 Abgeordnete der Konservativen Partei hätten fest versichert, dass sie sich per Brief für eine solche Abstimmung ausgesprochen hätten, berichtete "The Sun" am Montag. 25 Abgeordnete haben dem Bericht zufolge öffentlich erklärt, die Briefe eingereicht zu haben. Weitere 17 hätten dies privat kundgetan. Die Briefe gehen an den Vorsitzenden eines zuständigen Komitees der Torys, Graham Brady.

„Würden ein wenig verrückt aussehen“

Die Wähler goutieren den offenen Krieg unter den Tories jedenfalls nicht: Die oppositionelle Labour Party konnte sich nach einer Umfrage des „Observer“ in nur einer Woche um vier Prozentpunkte in Führung schieben. Die einflussreiche „Mail on Sunday“ verspottete die May-Gegner als „Lemminge“, während Umwelt-Staatssekretärin Thérèse Coffey meinte, die Premierministerin würde eine Abstimmung „sehr überzeugend“ gewinnen. In diesem Fall darf es ein Jahr lang kein Misstrauensvotum geben. Jene, die sie stürzen wollten, hätten sie dann quasi einzementiert. Um das zu verhindern, wurde über das Wochenende heftig an Putschplänen geschmiedet. Neben Raab galt Ex-Außenminister Boris Johnson als heißer Nachfolgekandidat für May. Die „Gruppe der Fünf“ aus den Ministern Andrea Leadsom, Penny Mordaunt, Chris Grayling, Liam Fox und Michael Gove wollte heute beraten, wie sie Forderungen nach Änderung der Nordirland-Passagen des Brexit-Deals Nachdruck verleihen könne.

Auch im moderaten Lager der Konservativen schien man aus der Schockstarre zu erwachen, in die man durch den Furor der Brexit-Hardliner der jüngsten Tage geraten war. Die Rückkehr der proeuropäischen, früheren Innenministerin Amber Rudd in die Regierung als Arbeitsministerin wurde als Stärkung Mays gesehen. Rudd ist eine ihrer wenigen Vertrauten und unterstützt den EU-Deal. Sollte es zum Nachfolgekampf kommen, „wird sie mit Sicherheit dabei sein“, hieß es gestern. Zugleich warnte sie vor einem Misstrauensvotum zu einem Moment, an dem das Schicksal des Landes auf dem Spiel stünde. Das, so Rudd in feinstem britischen Understatement, „würde uns ein wenig verrückt aussehen lassen.“ Von May gab es zu Forderungen nach Neuverhandlungen des Brexit-Deals ebenso eine Absage wie von EU-Ratsvorsitzendem Sebastian Kurz. May betonte: „Es gibt keinen anderen Plan.“

Ob er den Briten gefällt, ist eine andere Sache. Auf die Frage, ob sie den vorliegenden Deal, keinen Deal oder einen Exit vom Brexit bevorzugen würden, war Mays Abkommen mit 14 Prozent die mit Abstand unbeliebteste Option. Den No-Deal wollten 32 Prozent riskieren. Klarer Sieger wäre nun mit 54 Prozent der Verbleib in der EU.

Auf Einem Blick

Die britische Premierministerin Theresa May steht wegen des Brexit-Deals mit Brüssel daheim unter Beschuss. Zwei Minister traten aus Protest gegen den Vertragsentwurf bereits zurück, Abgeordnete ihrer eigenen konservativen Tory-Partei wollen May stürzen. Die Schwelle für ein Misstrauensvotum gegen die 62-Jährige war am Sonntag aber nach Angaben der Konservativen noch nicht erreicht.

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