Netanjahu kann Regierungskrise in Israel abwenden

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu (2. v. r.) einigte sich nach tagelangem Ringen nun doch mit Naftali Bennett (l.) von der Siedlerpartei.
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu (2. v. r.) einigte sich nach tagelangem Ringen nun doch mit Naftali Bennett (l.) von der Siedlerpartei.APA/AFP/POOL/ABIR SULTAN
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Obwohl die Siedlerpartei das vakant gewordene Amt des Verteidigungsministers nicht erhält, bleibt sie überraschend doch in Regierung. Netanjahus Popularität bröckelt aber.

Jerusalem. Israels Regierungschef, Benjamin Netanjahu, kann aufatmen. Das tagelange Ringen um die Zukunft der Koalition endete am Montag mit der Kapitulation der Siedlerpartei Das jüdische Haus. Parteichef Naftali Bennett, der nach dem Rücktritt von Verteidigungsminister Avigdor Lieberman vergangene Woche Netanjahu das Ultimatum stellte, entweder er selbst werde ins Verteidigungsministerium einziehen oder den Hut nehmen, gab am Ende überraschend klein bei. Obschon Netanjahu am Vorabend verkündete, selbst Liebermans Erbe antreten zu wollen, werde die Siedlerpartei in der Koalition bleiben und „Netanjahu den Rücken stärken“.

Besser hätte es für den Regierungschef nicht laufen können. Lieberman hatte die Waffenruhe mit der Hamas als „Kapitulation vor dem Terror“ bezeichnet und war unter Protest als Verteidigungsminister zurückgetreten. Und so wie Lieberman hatte Bennett den Premier dafür kritisiert, nicht massiver gegen die Islamisten vorzugehen. Trotzdem will er ihm nun noch eine Chance geben, sich als Sicherheitspolitiker unter Beweis zu stellen.

Netanjahu forderte die israelische Öffentlichkeit dazu auf, ihm zu vertrauen. „Ich werde mich an die Arbeit machen“, versprach er und signalisierte, dass die Entscheidung für die Waffenruhe auf geheime nachrichtendienstliche Informationen zurückginge. Netanjahu habe versprochen, die Richtung zu ändern, so Bennett. „Dabei wollen wir ihm den Rücken stärken.“ Bedingung sei aber, dass der neue Verteidigungsminister klarer gegen den Terror vorgehe.

„Hamas und Hisbollah werden jeden Tag frecher, weil sie glauben, dass wir die Konfrontation scheuen.“ Netanjahu müsse den monatlichen Zahlungen an „Mörder von Israelis“ ein Ende machen, forderte Bennett. Die palästinensische Autonomiebehörde zahlt den Familien von politischen Gefangenen Geld. Außerdem müsse Netanjahu das illegal errichtete Beduinendorf Khan al-Ahmar räumen lassen, wie es der Oberste Gerichtshof forderte, und nicht wie bisher „aus Angst, was man in Europa sagen könnte“, zu zögern. Die Siedlerpartei sei „das nationale Gewissen“ Israels, fügte Bennetts Parteifreundin und Justizministerin Ajelet Schaked hinzu.

Aufgebrachte Demonstranten

Netanjahu hatte in den vergangenen Tagen wiederholt vor Neuwahlen gewarnt. Rund drei Viertel der Israelis zeigten sich unzufrieden darüber, dass der jüngste Schlagabtausch, bei dem die Islamisten im Gazastreifen fast 500 Raketen und Mörsergranaten auf Israel abfeuerten, wieder ohne Entscheidung zu Ende ging.

Im Gazastreifen feierte die Hamas den „Sieg über die Zionisten“. Ismail Hanijeh, Chef des Hamas-Politbüros, rühmte seine Kämpfer dafür, Lieberman zum Rücktritt gezwungen zu haben. Parallel demonstrierten aufgebrachte israelische Bürger in Aschdod, wenige Kilometer nördlich vom Gazastreifen, gegen den „feigen“ Regierungschef „Bibi“, wie ihn der Volksmund nennt. Er solle „endlich aufwachen“, forderten Demonstranten, steckten Autoreifen in Brand und versperrten Straßen. „Bibi, was ist passiert, dass du wegläufst?“, riefen sie und: „Tod den Arabern“. Netanjahus Popularität erlebte einen Sturzflug.

Ohne Liebermans fünfköpfige Fraktion Israel Beteinu kann die Koalition mit der knappen Mehrheit von 61 der insgesamt 120 Sitze in der Knesset theoretisch weiter regieren. Aktuelle Umfragen geben Netanjahus Likud mit 29 Sitzen noch immer einen klaren Vorsprung von elf Mandaten vor seinem stärksten Konkurrenten, Jair Lapid von der Zukunftspartei.

Allerdings droht ihm in den kommenden Monaten eine oder mehrere Anklagen wegen Korruption. Schon Netanjahus erste Amtszeit endete aufgrund des Verdachts des Betrugs und der Unterschlagung mit einem Misstrauensvotum, wobei es nie zur Anklage kam. Diesmal scheint es ernst zu werden: Die Polizei empfiehlt Verfahren gegen ihn. Er soll einen Zeitungsverleger und die Betreiber eines Onlineportals bestochen sowie Vertraute an staatlichen Geschäften haben verdienen lassen. Kaum anzunehmen, dass Netanjahu seinen 70. Geburtstag nächsten Oktober noch immer als Israels mächtigster Politiker feiern wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2018)

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