Zwei Jahre mehr Zeit, den Brexit zu verdauen

Boris Johnson drängt es nicht. Er hat sich den Rebellen gegen May (noch) nicht öffentlich angeschlossen.
Boris Johnson drängt es nicht. Er hat sich den Rebellen gegen May (noch) nicht öffentlich angeschlossen. (c) REUTERS (TOBY MELVILLE)
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EU-Chefverhandler Barnier bietet London eine Verlängerung der Übergangsphase bis Ende 2022 an. An den grundlegenden Problemen ändert dies nichts.

Brüssel/Wien. Theresa Mays beste politische Freunde sitzen in diesen schweren Tagen nicht in London, sondern in Brüssel. Michel Barnier, der Chefverhandler der Union in Sachen britischer EU-Austritt, warf der einem möglichen Misstrauensvotum in Parlament in Westminster entgegenzitternden Premierministerin am Montag einen weiteren Rettungsring zu. Er schlug den 27 Europaministern der Mitgliedstaaten vor, die Übergangsphase nach dem Stichtag 29. März 2019 um zwei Jahre von Ende 2020 auf Ende 2022 zu verlängern. Das würde es Unternehmen und Behörden erleichtern, die unzähligen rechtlichen und administrativen Änderungen umzusetzen, welche das Ende der britischen Vollmitgliedschaft in der Union mit sich brächte, erklärte Barnier.

Spanien murrt wegen Gibraltar

Seitens der Europäer dürfte es keinen Widerstand gegen so eine Verlängerung der Übergangszeit geben. Während dieser Phase soll das Vereinigte Königreich als Ganzes nur mehr Teil einer Zollunion mit der EU sein. Die Provinz Nordirland bliebe darüber hinaus so weit wie möglich in den Binnenmarkt eingebunden. Dies sollte das Entstehen neuer Grenzkontrollen auf der irischen Insel vorerst vermeiden, was fatale Folgen für die irische und die nordirische Volkswirtschaft sowie den politischen Friedensprozess zwischen Katholiken und Protestanten hätte.
Doch an den fundamentalen Problemen der Abwicklung des Brexit ändert diese Fristerstreckung nichts. Denn die Übergangsfrist kann es nur geben, wenn es ein Austrittsabkommen zwischen London und Brüssel gibt. Dieses wiederum hängt mit der politischen Einigung über das künftige Verhältnis zwischen EU und Großbritannien zusammen.

Da spießt es sich weiterhin. Denn in Mays konservativer Partei, aber auch bei den oppositionellen Sozialisten, gibt es nur eine Minderheit, welche nach 2022 auf Basis der Zollunion ein neues Kapitel mit der EU aufschlagen wollte. Die Zollunion hindert London nämlich daran, nach Gutdünken Freihandelsabkommen mit dem Rest der Welt zu schließen: Weder könnten die Briten niedrige Zölle anbieten als die EU, noch laxere Regeln für deren Berechnung, und wenn die EU Sanktionen wegen Dumping über einen Drittstaat verhängt, muss London mitziehen.

Zudem widerstrebt Spanien der Entwurf des Austrittsabkommens. Außenminister Josep Borrell erklärte am Montag, ein Artikel über den Status von Gibraltar sei in der derzeitigen Form inakzeptabel. Jegliches Abkommen über das künftige Verhältnis müsse klarstellen, dass es nicht für Gibraltar gelte, weil dies nicht Teil des Vereinigten Königreichs sei.

SPÖ macht Druck

In Wien wiederum erhöht nach der Liste Pilz (die sich fortan „Jetzt“ nennt) die SPÖ den Druck auf die Bundesregierung, ihre Vorbereitungen für einen Hard Brexit (also einen ohne Abkommen) offen zu legen. SPÖ-Klubobfrau Pamela Rendi-Wagner und ihr Stellvertreter Jörg Leichtfried haben Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) aufgefordert, dem Nationalrat Rede und Antwort zu stehen. Sie drängten in einem Brief an Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka auf eine Erklärung des Kanzlers zum Brexit. Die Bundesregierung hat bisher im Gegensatz zur EU-Kommission ihre Vorbereitungen zu einem chaotischen Ausscheiden Großbritanniens aus der Union nicht öffentlich gemacht. Die Oppositionsparteien befürchten, dass es keine konkreten Vorbereitungen gibt.

Termine

Mitte Dezember sollen das britische Unterhaus, das EU-Parlament und der Rat der EU über das Austrittsabkommen abstimmen.

Ende März 2019 tritt Großbritannien offiziell aus der EU aus.

Bis 2020 läuft die Übergangsfrist zur Anpassung der britischen Gesetze. Eine Verlängerung bis 2022 ist möglich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2018)

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