Spahns Chance ist die Provokation

Jens Spahn (Mitte) versucht, beim Rennen um den CDU-Spitzenposten nicht ins Hintertreffen zu geraten.
Jens Spahn (Mitte) versucht, beim Rennen um den CDU-Spitzenposten nicht ins Hintertreffen zu geraten.APA/dpa/Kay Nietfeld
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Von den drei Bewerbern hat Jens Spahn wohl die geringsten Chancen auf den CDU-Vorsitz. Um aufzuholen, wendet er eine bewährte Taktik an. Dieses Mal beim Migrationspakt.

Berlin. Friedrich Merz hat das letzte Wort schon gesprochen, Annegret Kramp-Karrenbauer auch, da ergreift Jens Spahn noch einmal das Mikrofon. Drei Stunden hat der 38-jährige Gesundheitsminister hier in Lübeck schon mit den anderen beiden Kandidaten diskutiert, gleich ist die Veranstaltung zu Ende. Es ist die erste von acht Regionalkonferenzen, auf der sich die Bewerber für den CDU-Vorsitz vorstellen sollen. Bisher verlief das Gespräch friedlich, man könnte auch das Wort eintönig verwenden. Wirklich widersprochen haben die Kontrahenten einander nie.

Wie sollen sich die CDU-Delegierten so am Bundesparteitag für einen von ihnen entscheiden, fragt ein junges Parteimitglied. Ob sie denn nicht auch ihre Unterschiede hervorheben könnten? Den Gefallen werde man nicht machen, sagt Merz. Man sehe sich nicht als Gegner, antwortet Kramp-Karrenbauer. Und dann legt Spahn los: Als homosexueller Mann haben ihn die Aussagen Kramp-Karrenbauers zur Öffnung der Ehe getroffen, meint er. Über das Migrationsthema müsse man noch diskutieren. Er hätte sich aber gewünscht, dass Merz seine kritischen Worte dazu schon 2015 ausgesprochen hätte. „Solche Unterschiede kann man doch ansprechen, oder?“, fragt Spahn. Kramp-Karrenbauer grinst etwas verlegen, Merz schaut demonstrativ in die andere Richtung.

Spahn hat früh gelernt, dass er mit provokanten Aussagen die Aufmerksamkeit auf sich ziehen kann. Als Kritiker von Bundeskanzlerin Angela Merkel, vor allem in der Asylpolitik, ist er ein beliebter Gesprächspartner der Medien. Nun, wo er Merkels Nachfolger an der Parteispitze werden möchte, braucht er das öffentliche Interesse ganz besonders: Unter den drei Bewerbern hat Spahn bisher die geringsten Chancen auf einen Sieg am Parteitag am 7. Dezember. In Umfragen – sowohl unter Parteimitgliedern als auch der Bevölkerung allgemein – landet Spahn weit abgeschlagen auf Platz drei. Der interne Wahlkampf hat gerade erst begonnen, und schon rechnen nur noch die wenigsten mit ihm.

Seine einzige Chance heißt also Provokation. Diese Taktik setzte er am Wochenende fort: In der „Bild am Sonntag“ spricht sich Spahn dafür aus, am Bundesparteitag die Delegierten über den UN-Migrationspakt abstimmen zu lassen. „Alle Fragen der Bürger gehören auf den Tisch und beantwortet, sonst holt uns das politisch schnell ein. Notfalls unterzeichnen wir eben später“, sagte er.

Das ist deswegen bemerkenswert, weil die CDU die Debatte darüber eigentlich schon für beendet erklärt hatte. Der „globale Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration“ der Vereinten Nationen soll am 10. und 11. Dezember in Marrakesch endgültig verabschiedet werden. Nachdem Österreich verkündet hatte, dem Papier nicht zuzustimmen, brach auch in Deutschland eine Diskussion aus. Nach einer Aussprache in der Parlamentsfraktion einigten sich die beiden Unionsparteien CDU und CSU, den Pakt zu verteidigen. In dem nicht verbindlichen Papier gehe es immerhin um globale Standards, die Deutschland ohnehin einhält. Verbessern andere Länder ihre Situation, würden weniger Migranten und Flüchtlinge nach Deutschland kommen.

Die Regierung verteidigt sich

Regierungssprecher Steffen Seibert musste am Montag die Position der Koalition wiederholen: „Die Bundesregierung steht hinter diesem Pakt.“ Man könne globale Herausforderungen nur international lösen. Auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen, warnte vor einer „doppelten Führungsschwäche“, auch in Bezug auf das weltweite Ansehen Deutschlands. Aber Spahns Forderung hat auch Unterstützer: Die CDU in Sachsen-Anhalt zum Beispiel, oder den Vize-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Carsten Linnemann. Die Debatte über den Pakt sei im Keim erstickt worden, findet er. Spahn hat einen Nerv getroffen: In der Union ärgerte man sich immer wieder über Entscheidungen, die ohne Rücksprache mit der Basis getroffen wurden.

Heute, Dienstag, findet die nächste Regionalkonferenz in Mainz statt. Spahn hat in der Zwischenzeit gezeigt, dass er sich von seinen Kontrahenten unterscheiden möchte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2018)

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